BRAK für Reform der Revisionsbegründungsfrist im Strafprozess

Die Diskrepanz zwischen Urteilsabsetzungsfrist und Revisionsbegründungsfrist im Strafprozess muss dringend beseitigt werden. Das fordert die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) am 29.04.2020 in einem Schreiben. Nach Ansicht der BRAK treffen zwei Probleme aufeinander, die sich gegenseitig potenzieren und zu extremen Diskrepanzen und letztlich zur Beschneidung von Rechtsmittelmöglichkeiten im Strafprozess führen. Dies betrifft laut BRAK einerseits die nach oben hin nicht begrenzte Frist für die Urteilsabsetzung gemäß § 275 Abs. 1 StPO. Andererseits bleibt es für die Begründung der Revision stets bei der starren Frist des § 345 Abs. 1 StPO von einem Monat.

NSU-Prozess: Urteilsabsetzungsfrist betrug beinahe zwei Jahre

Besonders plakativ lasse sich das Auseinanderfallen der Fristen am Beispiel des am 21.04.2020 abgesetzten Urteils des OLG München in dem durch die Medien gegangenen NSU-Verfahren erkennen. Das 3.025 Seiten lange Urteil wurde bereits am 11.07.2018 mündlich verkündet, jedoch erst jetzt – unter beinahe punktgenauer Wahrung der am 22.04.2020 ablaufenden Frist von 93 Wochen – abgesetzt.

Absetzungsfrist und Revisionsbegründungsfrist angleichen

Hieraus ergeben sich nach Auffassung der BRAK mehrere praktische Probleme, die durch eine Reform vermieden werden könnten: Bei sehr umfangreichen Verfahren verlängere sich die Absetzungsfrist für das Urteil gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 bis 3 StPO. Eine gesetzliche absolute Obergrenze existiere nicht. Der Verteidigung bleibe wiederum ab Urteilszustellung nur ein Monat Zeit. Die BRAK ist der Auffassung, dass die Absetzungsfrist nach oben hin zu begrenzen ist. Zudem sollte die Frist zur Begründung der Revision an die Absetzungsfrist angeglichen werden.

BRAK für Obergrenze: Zwei Jahre sind zu lang

Die Revisionsbegründungsfrist dürfe erst dann zu laufen beginnen, wenn der Verteidigung auch das Protokoll der Hauptverhandlung zugegangen ist. Eine Begrenzung der Urteilsabsetzungsfrist durch eine absolute Obergrenze sei – bei grundsätzlicher Beibehaltung der Staffelung des § 275 Abs. 1 StPO – auch bei sehr umfangreichen Verfahren erforderlich, um dem in Strafverfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatz gerecht zu werden. Das folge aufgrund der sich aus der Verfahrensverzögerung für den Angeklagten ergebenden Belastungen aus dem fair-trial-Grundsatz, insbesondere – aber nicht nur – in Haftsachen. Eine Absetzungsfrist von fast zwei Jahren bei sehr umfangreichen Verfahren werde auch der Wahrheitsfindung nicht mehr gerecht.

Anpassung der Revisionsbegründungsfrist gefordert

Bezüglich der starren Monatsfrist für die Begründung der Revision hat die BRAK erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Sie könne in umfangreichen Verfahren zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs aus Art. 103 GG und des Gebots, ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung zu haben (Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK), führen. Die BRAK ruft den Gesetzgeber daher auf, die Vorschrift des § 345 StPO zu reformieren, indem die Frist zur Revisionsbegründung vergleichbar der Regelung des § 275 Abs. 1 StPO unter Berücksichtigung des Umfangs des Verfahrens gestaffelt wird. Es sei nicht einzusehen, warum der Gesetzgeber das Bedürfnis der Fristverlängerung bei der Urteilsabsetzung großzügig und nach oben hin unbegrenzt anerkenne, im Hinblick auf die Revisionsbegründung aber vollständig negiere.

Fristbeginn erst mit Zustellung auch des Hauptverhandlungsprotokolls

Zudem fordert die BRAK, dass die Revisionsbegründungsfrist erst dann zu laufen beginnt, wenn dem Rechtsmittelführer das Urteil nebst Hauptverhandlungsprotokoll zugestellt worden ist. Da alle Verfahrensrügen innerhalb der Revisionsbegründungsfrist zu begründen und dabei die den Mangel begründenden Tatsachen anzugeben sind, sei es sachgerecht, den Fristbeginn an die Zustellung des Hauptverhandlungsprotokolls zu koppeln, aus dem sich mit der Beweiskraft der §§ 273 f. StPO der Gang der tatrichterlichen Hauptverhandlung ergibt.

Redaktion beck-aktuell, 30. April 2020.