BRAK will Nachbesserungen bei Verordnungsentwürfen zur elektronischen Akte im Strafverfahren

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) begrüßt grundsätzlich die geplanten drei Rechtsverordnungen des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Einführung der elektronischen Akte in Bußgeldverfahren und gerichtlichen Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz als notwendige Fortentwicklung der Zusammenarbeit. Dies geht aus einer im September 2019 veröffentlichten Stellungnahme hervor. Bei der Verwirklichung des Akteneinsichts- und Informationsrechts der Rechtsanwälte und aller sonstigen Berechtigten sieht die BRAK allerdings noch Verbesserungsbedarf.

Verpflichtende Vorgaben zur Ausübung des Akteneinsichtsrechts

Die BRAK unterstützt uneingeschränkt die Zielsetzung der drei Verordnungen, gleiche Anforderungen für die elektronische Aktenführung der gemäß § 110a Abs. 4 OWiG, § 110a Abs. 1 S. 1 StVollzG verpflichteten Verfolgungs- und Vollstreckungsbehörden sowie der Gerichte in Strafvollzugssachen vorzugeben. Um in allen Verfahrensarten und Verfahrensstadien die Ausübung des Akteneinsichtsrechts zu vereinfachen, seien verpflichtende Vorgaben für die elektronische Aktenführung, für die organisatorischen und dem Stand der Technik entsprechenden technischen Rahmenbedingungen einschließlich der einzuhaltenden Anforderungen des Datenschutzes, der Datensicherheit und der Barrierefreiheit erforderlich. Soweit das nicht möglich erscheine oder für eine Übergangszeit alternative Formate ermöglicht würden, regt die BRAK an, die Vorgaben zur Begrenzung des Akteneinsichtsformats in der StrafAktEinV (Einsichtsgewährung über ein Internetportal) zurück zu nehmen.

Akteneinsichtsrechte dürfen nicht sachwidrig beschränkt werden

Jenseits der justizinternen organisatorischen Vorgaben sei durch die Verordnungen außerdem sicherzustellen, dass die Akteneinsichtsrechte der Berechtigten nicht durch zu enge Vorgaben an den Inhalt der elektronischen Akten (neben weiteren behördlichen Aktenvorgängen), eines bestimmten zur Akteneinsicht bereit gehaltenen Aktenformats oder eines für die Akteneinsicht vorgegebenen Übermittlungsweges sachwidrig beschränkt werden.

Verfestigung bereits bestehender Aktenführungssysteme

Die Zielsetzung eines einheitlichen, den gleichen Anforderungen genügenden elektronischen Aktenbestands sei gefährdet, wenn nach den Verordnungsentwürfen für aktenführende Stellen Ausnahmen von einem einheitlichen elektronischen Aktenformat vorgesehen seien, so dass die Verwaltungspraxis die Zielsetzung des Gesetzgebers unterlaufen könne. In allen Straf- und Bußgeldsachen einschließlich der gerichtlichen Verfahren nach den Strafvollzugsgesetzen wäre eine Verfestigung bereits bestehender anderer – auch nicht-elektronischer – Aktenführungssysteme (einschließlich der Akten über den Vollzug von Maßregeln und Bewährungsakten sowie sonstiger Akten der Vollstreckungsbehörden im Sinne von § 90 OWiG, § 459 ff. StPO) ein wichtiger Grund, die Akteneinsichtsgewährung gem. § 32f StPO nicht auf die in der StrafAktEinV vorgesehenen Formate zu beschränken.

Nicht gesamter Aktenbestand umfasst

Mit der Absenkung von Vorgaben an die Inhalte elektronischer Akten (beispielsweise gem. § 2 Abs. 4 BußAktFV; § 3 Abs. 1, 2 BußAktFV) könne nicht die Erwartung eines Akteneinsichtsberechtigten erfüllt werden, alles in der elektronischen Akte in Bußgeldsachen zu finden, was gemäß § 49 OWiG zu dem Aktenbestand zählt. Sofern es bei den derzeitigen Planungen für die Absenkung der Anforderungen an die Übermittlung von Akten und eine entsprechende Anwendung der DokErstÜbV bleibt, wäre ebenfalls das Format der Einsichtsgewährung nach der StrafAktEinV aufzufächern nach solchen Akten, die den Vorgaben zur elektronischen Aktenführung gemäß §§ 2, 3 StrafAktFV, §32e StPO folgen, und solchen Akten, in denen dies nicht geschehen sei. Mithin wären auch Akteneinsichtsrechte der Berechtigten nicht auf die Formatvorgaben gem. § 32f Abs. 1 StPO in Verbindung mit der StrafAktEinV zu begrenzen.

Auch Polizei- und Vollstreckungsbehörden müssen teilnehmen

Zweifel an der Eignung der Vorgaben der RefE zur Erreichung der Zielsetzung würden sich aus der Herausnahme von Polizei- und Vollstreckungsbehörden in Bußgeldsachen aus der Nennung der aktenführenden Stellen gemäß § 1 BußAktFV (ebenso § 1 BußAktÜbV) ergeben. Diese sollen nach der Begründung nur dann zur elektronischen Aktenführung verpflichtet sein, wenn sie auch "Verwaltungsbehörde" im Sinn von § 36 OWiG sind. Die Vorstellungen zur Funktion von Polizeibehörden (S. 8/9 RefE) würden irritieren. Diese würden der tatsächlichen Involvierung von Polizeibehörden in Straf- und Bußgeldverfahren nicht gerecht, so dass der Gesetzgeber zu Recht auch Polizeibehörden als aktenführende Stellen in § 110a Abs. 4 OWiG vorgesehen habe.

Einheitliche elektronische Aktenführung im Vollstreckungsverfahren nicht gesichert

Für Vollstreckungsbehörden in Bußgeldsachen werde auf § 90 OWiG verwiesen, wonach die Verwaltungs-Vollstreckungsgesetze auf die Vollstreckung in Bußgeldsachen anzuwenden seien, was im Zweifel bedeute, dass die das Verfahren gemäß § 36 OWiG führende Behörde keine Vollstreckungsbehörde sei, so die BRAK. Weiche die BußAktFV somit von der Vorgabe des § 110a Abs. 4 OWiG bewusst ab, könne auch im Vollstreckungsverfahren keine einheitliche elektronische Aktenführung und Akteneinsicht sichergestellt werden.

Mindeststandards dürfen nicht abgesenkt werden

Zudem führe die Absenkung der Dokumentations-, Nachweis- und Übermittlungsanforderungen für Polizeibehörden, Verwaltungs- und Vollstreckungsbehörden gemäß § 2 Abs. 4 S. 2 BußAktFV, § 3 Abs. 1, 2 BußAktFV und § 2 Abs. 4 BußAktÜbV dazu, dass einheitliche Anforderungen an die elektronische Aktenführung aufgegeben würden. Das könne den Eindruck erwecken, die mit Ordnungswidrigkeiten befassten staatlichen Behörden müssten es mit der Aktenführung "nicht so genau nehmen". Angesichts der großen Bandbreiten an Sanktionsdrohungen, die durch Bußgeldbescheide von Verwaltungs-, Polizei-, Finanzbehörden im Sinne von § 386 Abs. 1 S. 2 AO und Justizbehörden selbst verhängt werden könnten, sowie einer hohen sechsstelligen Zahl von jährlich erstmals bei den Gerichten anhängig gemachten Bußgeldsachen seien keine Absenkungen von Mindeststandards gerechtfertigt.

Aufbewahrung der Ausgangsdokumente der Verwaltungsbehörden

Wenn tatsächlich übergeordnete Überlegungen dafür sprechen sollten, das Format der Aktenführung von einem späteren Ausgang des Verfahrens abhängig zu machen, dann könne dies jedenfalls dem Akteneinsichtsberechtigten nicht entgegen gehalten werden, wenn er grundsätzlich in allen Verfahrensstadien das Recht auf Gewährung von Akteneinsicht (§§ 49, 110c S. 1 OWiG, § 32f StPO) in Anspruch nimmt. In einem solchen Fall wäre – wegen der Vorgaben des § 110c S. 3 OWiG, § 32e StPO weiter zu bestimmen, in welchem Umfang Ausgangsdokumente der Verwaltungsbehörden weiter aufbewahrt werden müssten, um den Inhalt von Verwaltungsakten in Bußgeldsachen anhand von Papierakten nachvollziehen zu können.

Authentizität der Dokumente muss sichergestellt werden

Bei der Übermittlung von Akten und Dokumenten von Polizei- und Verwaltungsbehörden an Justizbehörden sei fraglich, wie die Authentizität der Dokumente in einer elektronischen Akte des Empfängers sichergestellt wird, wenn der Empfänger von einer Aktenübermittlung, der Absender aber nur von einer Dokumentenübermittlung ausgehe. Auch der Verbleib von Akten (§ 3 Abs. 3 BußAktÜbV, § 3 Abs. 3 StVollzGerAktÜbV) und Dokumenten bei der sendenden Stelle widerspreche grundsätzlich § 499 StPO (Löschung von Aktenkopien) und den künftig gemäß § 500 StPO anzuwendenden Regelungen über den Datenschutz, heißt es in der Stellungnahme.

Redaktion beck-aktuell, 10. September 2019.