Wahlgesetz zugunsten von Nationalisten geändert
Aufgerufen zu der Kundgebung am 14.04.2023 vor dem Büro des Hohen Repräsentanten hatten Zivilorganisationen und Intellektuelle, die die Spaltung Bosniens auf ethnischer Grundlage ablehnen, und dem früheren Landwirtschaftsminister Schmidt insbesondere eine Nähe zu und Unterstützung von kroatischen und serbischen Nationalisten in Bosnien vorwerfen. Hintergrund ist eine Änderung des Wahlgesetzes im Oktober letzten Jahres, die Schmidt veranlasst hatte. Zur angeblich geplanten Wahlrechtsänderung befragt, reagierte Schmidt während einer Pressekonferenz im August 2022 noch mit einem regelrechten Wutausbruch vor laufender Kamera und bezeichnete die Vermutungen als "absolut rubbish". Gleichwohl änderte er im Oktober 2022 das Wahlgesetz rückwirkend und stärkte damit faktisch - so der Vorwurf - die Position der nationalistischen kroatischen Partei HDZ und der serbischen Partei SNSD.
Gesellschaft für bedrohte Völker fordert Schmidts Absetzung
Die beiden Profiteure der Reform seien "keine normalen Parteien, sondern Nachfolger jener Kräfte, die im Bosnienkrieg Verbrechen begingen, mit dem Ziel, ein Groß-Kroatien und ein Groß-Serbien zu etablieren", schrieb die Gesellschaft für bedrohte Völker in einem Brief an den Auswärtigen Ausschuss des Bundestags und forderte laut einem Spiegel-Bericht, Schmidt abzusetzen, wenn dieser seine Haltung nicht ändert. Der Hohe Repräsentant müsse den Tendenzen, frühere Kriegsverbrechen in Bosnien zu leugnen, "entschieden entgegenwirken". Stattdessen befördere er sie. Auch eine Gruppe deutscher Ex-Diplomaten und Balkanexperten forderte Schmidts Absetzung. Dieser wies die Vorwürfe zurück und bezichtige die Verfasser der beiden Briefe der Lüge. Er begründete die Gesetzesänderungen damit, die bisherige Blockadepolitik ethno-nationalistischer Politikerinnen und Politiker bei der Regierungsbildung durchbrechen zu wollen. Dieses Ziel hat er allerdings nicht erreicht. Zudem sind laut österreichischem Standard die multiethnischen, europäisch ausgerichteten Parteien die Verlierer von Schmidts Wahlgesetzänderungen.
Holzhammer statt Fingerspitzen
Unabhängig davon, ob eine Wahlrechtsreform grundsätzlich nötig gewesen ist, dürfte jedenfalls der gewählte Zeitpunkt am Abend des Wahlsonntages ein "Geschmäckle" hinterlassen haben. Vielen habe sich der Eindruck aufgedrängt, dass Schmidt auf autoritäre Weise sein Misstrauen in die politische Willensbildung der Menschen im Land demonstrieren wollte, findet etwa die Süddeutsche Zeitung. Der Tagesspiegel schreibt: "Die gute Absicht und sein bemühter Einsatz sind Schmidt kaum abzusprechen. Doch es mangelt dem langjährigen Bundestagshinterbänkler an Fingerspitzengefühl und ausreichend diplomatischer Erfahrung für Bosniens sehr glattes politisches Parkett." Und in der Berliner Zeitung heißt es, das Amt fordere - nicht zuletzt wegen der Natur Bosniens als hochkomplexem Vielvölkerstaat mit drei staatstragenden Ethnien und zusätzlich 17 nationalen Minderheiten - ein hohes Maß an diplomatischem Geschick, Unparteilichkeit, Neutralität, Regionalexpertise und Fingerspitzengefühl. Schmidt habe viele Male demonstriert, dass er über diese Fähigkeiten nicht verfügt. Auch der Satiriker Jan Böhmermann hat sich des Themas angenommen und Schmidt in seiner ZDF-Sendung mangelnde Kompetenz vorgeworfen.
"Bonner Befugnisse" - zu weitgehende Vollmachten?
Das Amt des Hohen Repräsentanten wird jedoch unabhängig von der Person Schmidts kritisiert - einerseits wegen der Machtfülle der Institution und des Fehlens einer demokratischen Kontrolle, andererseits wegen ihrer angeblichen Inaktivität. Das Amt wurde 1995 nach dem Bosnienkrieg geschaffen, um den Friedensprozess zu untermauern und auf Kurs zu halten. Der Hohe Repräsentant repräsentiert die internationale Gemeinschaft in Form der Vereinten Nationen. Er wird von Vertretern der Außenministerien von mehr als 50 Staaten, dem sogenannten Friedensimplementierungsrat, ernannt, vor dem er sich alle sechs Monate verantworten muss. Er besitzt weitgehende Vollmachten, so kann er sämtliche demokratische Einrichtungen überstimmen, demokratisch gewählte Amtsträger entlassen, Gesetze erlassen und neue Behörden schaffen. Diese Vollmachten werden auch "Bonner Befugnisse" genannt, da sie während einer Tagung des Friedensimplementierungsrats im Dezember 1997 in Bonn beschlossen wurden.
Schmidt könnte dem Ansehen des Amtes (weiter) schaden
Die Konrad-Adenauer-Stiftung bezeichnete die Einführung der "Bonn Powers" als einen Wendepunkt, der es dem Büro des Hohen Repräsentanten nach dem Krieg ermöglichte, Beamte zu entlassen und zu ersetzen, die illegale, korrupte oder hasserfüllte Aktivitäten begangen und den Frieden und die Rechtsstaatlichkeit im Land gefährdet hatten. Heute werde die Rolle des Hohen Repräsentanten jedoch vielmehr als beratend wahrgenommen. Tatsächlich sind die "Bonner Befugnisse" 2021 zum ersten Mal seit knapp zehn Jahren wieder angewandt worden. Damals hatte Schmidts Vorgänger Valentin Inzko die Leugnung des Srebrenica-Völkermords in Bosnien-Herzegowina unter Strafe gestellt. Mit der Änderung der Wahlgesetze hat Schmidt nun erneut von den "Bonner Befugnissen" Gebraucht gemacht - womöglich mit weitreichenden Folgen. Der Schweizer Politologe Adis Merdžanović, der über das Amt des Hohen Repräsentanten seine Dissertation schrieb, befürchtet laut dem Standard, dass Schmidts Vorgehen der Institution und dem demokratischen Prozess großen Schaden zugefügt hat. Wenn nun durch Schmidts Wahlgesetzänderungen die liberalen und nicht-nationalistischen Kräfte weiter geschwächt werden, erscheint es noch unglaubwürdiger, wenn westliche Diplomaten in Bosnien-Herzegowina behaupten, sie wollten das Land in die EU führen.