Leben beim IS ist nicht automatisch mitgliedschaftliche Beteiligung an terroristischer Vereinigung im Ausland

Frauen, die mit ihrem Mann und ihren Kindern zum Islamischen Staat (IS) gereist sind, haben sich nicht zwangsläufig der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland schuldig gemacht. Das stellte der Bundesgerichtshof am Donnerstag anhand zweier Fälle aus München und Berlin klar. Beide Frauen waren als IS-Rückkehrerinnen in Untersuchungshaft gekommen. In dem einen Fall hob der BGH nun den Haftbefehl auf, im anderen verlängerte er ihn.

Rechtsprechung zu Strafbarkeit von IS-Rückkehrerinnen bestätigt und fortgeführt

Mit den beiden Entscheidungen hat der BGH seine Rechtsprechung zur Strafbarkeit von IS-Rückkehrerinnen bestätigt und fortgeführt. Hiernach setze die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§§ 129a Abs. 1 Nr. 1, 129b Abs. 1 Satz 1 StGB) – wie sonst auch – eine gewisse einvernehmliche Eingliederung der Täterin in die Organisation (Mitgliedschaft) und eine aktive Tätigkeit zur Förderung deren Ziele (Beteiligung) voraus. Trotz einer islamistischen Gesinnung müssten dabei Betätigungen der Ehefrau eines IS-Angehörigen im Haushalt und beim Aufziehen von Kindern im IS-Herrschaftsgebiet für sich gesehen noch keine mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte darstellen. Auch die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 5 Satz 1 StGB), welche die Strafbarkeit einer der Vereinigung nicht angehörenden Person betrifft, liege in solchen Fällen nicht ohne Weiteres vor. Als mitgliedschaftliche Beteiligung könnten Haushaltsführung und Kindererziehung indes zu bewerten sein, wenn die in die Organisation eingebundene Täterin deren Aktivitäten auch durch weitere Handlungen fördert.

Frau eines IS-Kämpfers forcierte Einreise und Verbleib in IS-Gebiet

Im Verfahren AK 14/22 hat der BGH das Ermittlungsergebnis dahin gewürdigt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit im Oktober 2016 die damals 25-jährige Beschuldigte mit ihren beiden zwei- und einjährigen Söhnen in das syrische IS-Herrschaftsgebiet ausreiste. Sie habe beabsichtigt, durch diesen Schritt ihren noch zögerlichen Ehemann nach islamischem Ritus, der nicht damit einverstanden war, dass sie die beiden Kinder mitnahm, ebenfalls zur Ausreise dorthin zu bewegen. Einige Zeit später sei er tatsächlich seiner Familie gefolgt. Die Beschuldigte und er schlossen sich dem IS an. Er betätigte sich nach einer entsprechenden Ausbildung für die Organisation als Kämpfer an kriegerischen Auseinandersetzungen. Sie zerstreute seine Zweifel an terroristischen Aktivitäten und wirkte, als er ernsthaft erwog, das Bürgerkriegsgebiet zu verlassen, erfolgreich auf ihn ein, um ihn zum Verbleib bei der Organisation zu bewegen. Ihre Kinder erzog sie im Sinne der IS-Ideologie. Noch während ihrer Internierung in dem nordsyrischen Lager verwendete sie auf ihrem "WhatsApp-Profil" Statusbilder, die unter anderem die IS-Fahne zeigten, erstellte auf "Telegram" einen jihadistischen Kanal und warb bei "Glaubensgeschwistern" um Spenden für IS-Anhängerinnen.

Hinwirkung auf IS-Beitritt des Ehemanns als mitgliedschaftlicher Beteiligungsakt

Der BGH hat neben dem dringenden Verdacht der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (§ 171 StGB) auch denjenigen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland angenommen. Nach der maßgeblichen Verdachtslage habe die Beschuldigte entscheidend auf den Beitritt ihres Mannes zum IS sowie seinen Verbleib bei diesem als Kämpfer hingewirkt. Insbesondere der sich darin manifestierende Wille zur Förderung der Organisation habe es gerechtfertigt, die Betätigungen im Haushalt und bei der Kindererziehung ebenfalls als auf Dauer angelegtes vereinigungstypisches Verhalten, mithin als mitgliedschaftliche Beteiligungsakte, zu bewerten. Denn die Handlungen hätten sich in Anbetracht der Einbindung der Beschuldigten in die Organisation und ihres Ziels, im Rahmen der ihr nach radikal-islamischen Vorstellungen zugedachten Rolle die Kampfbereitschaft des Mannes zu gewährleisten, nicht lediglich als bloße alltägliche Verrichtungen ohne Organisationsbezug – als Erfüllung "häuslicher Pflichten" - dargestellt. Da auch die weiteren Voraussetzungen für die Haftfortdauer vorgelegen haben, sei sie anzuordnen gewesen, so der BGH.

Zweites Verfahren: Ehefrau widmete sich nur Haushalt und Kindern

Im Verfahren AK 18/22 hat es der BGH nach den von den Ermittlungsbehörden bisher gewonnenen Erkenntnissen als hochwahrscheinlich erachtet, dass im April 2015 die damals 30-jährige Beschuldigte mit ihrem Ehemann und drei minderjährigen Kindern in das syrische IS-Herrschaftsgebiet ausreiste. Sie befasste sich während ihres dortigen Aufenthalts mit der Haushaltsführung und Kindererziehung; ihr Mann war nach einer religiösen und militärischen Ausbildung für eine technische Einheit des IS tätig.

BGH verneint dringenden Verdacht mitgliedschaftlicher Beteiligung

Der BGH hat unter Anlegung der einschlägigen rechtlichen Maßstäbe den dringenden Tatverdacht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland verneint. Dem bisherigen Ermittlungsergebnis sei nicht zu entnehmen, dass sich die Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Organisation des IS eingliedert habe. Ebenso wenig hätten die Ermittlungen Umstände hervorgebracht, die es – wie im Verfahren AK 14/22 – gerechtfertigt hätten, das Verhalten der Beschuldigten als aktive Tätigkeit zur Förderung der von der Vereinigung verfolgten Ziele und damit als Beteiligungsakte zu betrachten (etwa werbende und steuernde Betätigungen von Gewicht). Nach der maßgeblichen Verdachtslage habe sich das Verhalten der Beschuldigten in einem alltäglichen Leben im "Kalifat" erschöpft. Auf den verbleibenden dringenden Verdacht der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht habe indes, nach mehr als halbjähriger Untersuchungshaft, der Haftbefehl mangels Haftgrundes nicht gestützt werden können. Deshalb sei die Entlassung der Beschuldigten aus der Untersuchungshaft anzuordnen gewesen.

Redaktion beck-aktuell, Britta Weichlein, beck-aktuell-Redaktion, 13. Mai 2022.