Zwangsweise Elektrokonvulsionstherapie in Ausnahmefällen zulässig

In Ausnahmefällen kann eine zwangsweise Elektrokonvulsionstherapie (EKT) zulässig sein. Der Bundesgerichtshof hat dies in dem Fall einer psychisch schwerkranken Frau entschieden, die zum Zeitpunkt der Maßnahme nicht mehr ansprechbar war und sich selbst kaum mehr wahrnahm. Die Maßnahme entspreche anerkannten Standards und biete die einzige Möglichkeit, die Voraussetzungen für eine Behandlung mit Tabletten zu schaffen. Unter diesen Umständen sei der schwere Grundrechtseingriff gerechtfertigt.

Elektrokrampftherapie als Zwangsmaßnahme genehmigt

Eine 38jährige Frau war chronisch an einer paranoiden-halluzinatorischen Psychose erkrankt und seit 2018 untergebracht. 2019 hatte sie sich noch freiwillig der Elektrokrampftherapie unterzogen und auch darauf angesprochen. Danach wehrte sie sich gegen diese Behandlungen, wurde aber immer wieder zwangsweise aufgrund gerichtlicher Genehmigungen damit therapiert. Zuletzt war sie von Vergiftungsängsten, passiven Todeswünschen, Angstsymptomatik, religiösem Wahn und fehlender Körper- und Außenwahrnehmung betroffen. Sie nässte sich ein, ließ keine pflegerische Grundversorgung mehr zu und nahm auch zu niemandem mehr Kontakt auf. Ihr Betreuer stimmte deshalb zu, ihr gegen ihren Willen innerhalb von fünf Wochen 15 weitere Sitzungen Elektrokrampftherapie angedeihen zu lassen, wobei sie fixiert wurde und angstlösende Medikation erhielt. Ziel war es sie soweit wieder ansprechbar zu machen, dass eine Tablettenbehandlung mit Clozapin durchgeführt werden kann. Ansonsten sahen die Ärzte die therapeutischen Möglichkeiten als ausgeschöpft an. Weder vor dem Amtsgericht Dinslaken noch vor dem Landgericht Duisburg hatte sie mit ihrer Beschwerde gegen die durchgeführten Maßnahmen Erfolg. Auch der Bundesgerichtshof bestätigte die Zwangsbehandlung.

"Besonderer Ausnahmefall"

Der BGH ist der Ansicht, dass alle Voraussetzungen des § 1906a Abs. 1 Satz 1 BGB erfüllt waren: Insbesondere sei diese Therapie medizinisch erforderlich gewesen. Sie entspreche den anerkannten medizinischen Standards und verspreche selbst dann Erfolg, wenn sie gegen den natürlichen Willen erfolge. Eine Behandlung gegen den Willen dürfe im Regelfall aber nicht erfolgen. Auch wenn die DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V.) sich für diese Maßnahme nur auf mittlerer Evidenzstufe und Empfehlungsstärke ausspreche, weil die Datenlage nicht ausreichend ist, verspreche sie bei der Patientin eine Verbesserung, weil sie 2019 schon einmal geholfen habe. Die Maßnahme ist dem XII. Zivilsenat zufolge in dem akut verschlimmerten, teils katatonen Zustand der Betroffenen auch verhältnismäßig, weil sie den Boden für eine anschließende medikamentöse Behandlung bereiten soll, von der sich die Ärzte eine Teilremission erhoffen. Hier handele es sich um einen "besonderen Ausnahmefall", in dem eine EKT-Behandlung auch gegen den natürlichen Willen erfolgen dürfe. Eine therapeutisch notwendige Behandlung könne dabei nicht als unmenschlich oder erniedrigend im Sinn von Art. 3 EMRK bezeichnet werden.

BGH, Beschluss vom 30.06.2021 - XII ZB 191/21

Redaktion beck-aktuell, 20. August 2021.