Anbieterin löscht Kommentar und sperrt Profil
Ein privater Nutzer eines in Irland ansässigen sozialen Netzwerks veröffentlichte auf der Seite seines Accounts folgenden Kommentar: "Stefan schön wär‘s, wer soll denn dann neu ordnen, wer regieren? Die Deutschen sind zu dumm richtig zu wählen." Daraufhin löschte die Anbieterin des Netzwerks den Beitrag und sperrte den Account des Nutzers wegen angeblichen Verstoßes gegen die Standards zur Hassrede, indem sie diesen für 30 Tage in den sogenannten Read-only-Modus versetzte. Damit war der Nutzer nicht einverstanden und zog vor Gericht. Das Landgericht Bonn untersagte dem Unternehmen im August 2021 einstweilen, den Kommentar zu löschen und/oder das Profil des Manns zeitlich befristet zu sperren. Dieser ließ die Beschlussverfügung Anfang September 2021 zunächst einer Berliner Kanzlei als der von der Schuldnerin benannten inländischen Zustellungsbevollmächtigten nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) im Parteibetrieb von Anwalt zu Anwalt zustellen, am 10.09.2021 dann per Gerichtsvollzieher. Die Kanzlei in der Hauptstadt – zu diesem Zeitpunkt für das Verfahren noch nicht bevollmächtigt – wies beide Zustellungen zurück. Am 14.10.2021 wurde sein Kommentar wiederhergestellt. Der Account wurde erst nach Ablauf der 30 Tage entsperrt. Gegen die Betreiberin des Netzwerks verhängte das LG antragsgemäß ein Ordnungsgeld nach § 890 Abs. 1 ZPO in Höhe von 60.000 Euro. Das Oberlandesgericht Köln kassierten den Ordnungsgeldbeschluss, da es für die Zeit der Sperre und der unterbliebenen Wiederherstellung des Beitrags an einer wirksamen Zustellung der Beschlussverfügung gefehlt habe. Die Rechtsbeschwerde des Nutzers beim BGH hatte zunächst Erfolg.
Wirksame Zustellung nach NetzDG?
Der I. Zivilsenat verwies die Sache zur weiteren Klärung ans OLG zurück. Die Begründung der fehlenden Zustellung überzeuge nicht: Richtig sei zwar, dass die Kanzlei die Unterlagen mangels Bestellung nicht als Prozessbevollmächtigte hätte entgegen nehmen müssen. Jedoch komme entgegen der Ansicht des OLG eine wirksame Übersendung an sie als Zustellungsbevollmächtigte nach § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG in Betracht. Die Karlsruher Richter wiesen darauf hin, dass die Norm von Anfang an auf Verfahren bezüglich der Beseitigung bestimmter rechtswidriger Inhalte anwendbar gewesen sei. Mit der Neuregelung vom 28.06.2021 habe der Gesetzgeber klargestellt, dass diese Art der Zustellung auch bei Streitigkeiten um die Wiederherstellung von Beiträgen oder die Entsperrung von Accounts in Betracht komme – allerdings nur, soweit das Handeln auf der Annahme rechtswidriger Inhalte im Sinne des § 1 Abs. 3 NetzDG beruhe. Eine generelle Zustellmöglichkeit losgelöst von rechtswidrigen Inhalten habe das NetzDG nicht schaffen wollen.
Darlegungslast des Gläubigers
Für die wirksame Zustellung einer Beschlussverfügung sei der Gläubiger darlegungs- und beweisbelastet. Das gelte auch für die Voraussetzungen einer Zustellung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 NetzDG. Die Darlegungslast des Gläubigers besteht nach Auffassung des BGH aber nur eingeschränkt: Die Motive des Anbieters seien für ihn unter Umständen nur schwer zu erkennen oder zu belegen. Daher sei ausreichend, wenn er tatsächliche Anhaltspunkte vortrage, aufgrund derer ein verständiger Dritter jedenfalls ernsthaft in Erwägung ziehen würde, dass das Unternehmen von der Verbreitung rechtswidriger Inhalte ausgegangen sei. Die alle Umstände kennende Netzwerkbetreiberin treffe dann die sekundäre Darlegungslast für ihre Behauptung, eine die Zuständigkeit des Bevollmächtigten auslösende Annahme der Verbreitung rechtswidriger Inhalte sei nicht Verfahrensgegenstand.