Anmerkung von
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe
Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 13/2019 vom 28.06.2019
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Sachverhalt
Der Beklagte hatte sich – wie viele andere Kleinanleger – als atypischer stiller Gesellschafter an einer Gesellschaft der insgesamt in Insolvenz geratenen „G. Gruppe“ beteiligt. Der Beklagte beauftragte die klagende Anwaltssozietät mit der Wahrnehmung seiner Interessen gegenüber den Initiatoren und Konzeptanten der „G. Gruppe“; der Rechtsschutzversicherer des Beklagten sagte die Übernahme der hiermit verbundenen Kosten zu. Mit Schreiben vom 9.3.2011 unterrichtete die Klägerin den Beklagten über die Möglichkeit, auch die Wirtschaftsprüfer der „G. Gruppe“ auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, wies auf die drohende Verjährung hin, bat um Rücksendung einer unterschriebenen Vollmacht und führte aus: „Nach Einholung der entsprechenden Deckungszusage Ihrer Rechtsschutzversicherung werden wir Ihre Ansprüche gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft wegen Beihilfe zum Betrug geltend machen. Die Stellung der Deckungsanfrage erfolgt wie bisher durch unsere Kanzlei. Sollten sich bei der Einholung von Kostenschutz Probleme ergeben, werden wir Rücksprache mit Ihnen nehmen.“ Der Beklagte unterzeichnete das dem Schreiben beigefügte, mit „Auftrag und Vollmacht“ überschriebene Formular und sandte es an die Klägerin zurück. Mit Schreiben vom 29.7.2011 (vgl. BGH NJW 2016, 61 Rn. 4) wandte sich der Rechtsschutzversicherer des Beklagten (der selbst den Erhalt bestritten hat) an zahlreiche bei ihm versicherte Anleger und führte aus, dass er bereits Deckungszusage für eine außergerichtliche Interessenwahrnehmung gegen potentielle Täter und Tatbeteiligte erteilt habe, die sich auch auf Wirtschaftsprüfer als mögliche Tatbeteiligte erstrecke, und vertrat die Ansicht, dass insoweit keine gesonderte Geschäftsgebühr anfalle. Hierauf Bezug nehmend wandte sich die Klägerin mit weiterem Schreiben vom 12.8.2011 an den Beklagten, in dem sie darauf hinwies, dass der Rechtsschutzversicherer zur Kostenübernahme verpflichtet sei, die Deckungszusage unberechtigt verweigere und deshalb zunächst zur gerichtlichen Klärung in ausgewählten Fällen auf Deckung in Anspruch genommen werde; über den Ausgang der Verfahren werde man unterrichten. Im Dezember 2011 leitete die Klägerin mehrere hundert Güteverfahren bei einer Gütestelle ein, die mangels Bereitschaft der Wirtschaftsprüfer zur Teilnahme scheiterten. Der Rechtsschutzversicherer des Beklagten verweigerte die Übernahme der Kosten für eine Klage. Der Beklagte einigte sich schließlich mit ihm auf eine Abfindungszahlung und forderte die Klägerin auf, alle laufenden Verfahren kostengünstig zu beenden.
Die Klägerin verlangt nunmehr vom Beklagten Vergütung für ihre Tätigkeit im Rahmen des Güteverfahrens. Das AG hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat den Beklagten – ausgehend von einem geringeren Gegenstandswert – zur Zahlung eines Teilbetrags verurteilt. Es hat angenommen, ein Anwaltsvertrag über die Stellung eines Güteantrags gegen die Wirtschaftsprüfer sei dadurch zustande gekommen, dass der Beklagte der Klägerin auf deren Schreiben vom 9.3.2011 hin das unterzeichnete Vollmachtsformular übersandt habe. Ob die Annahme des Vertragsangebots unter der aufschiebenden Bedingung erklärt worden sei, dass der Rechtsschutzversicherer Kostendeckung zusage, hat es dahinstehen lassen, weil diese Bedingung eingetreten sei, als der Rechtsschutzversicherer dem Beklagten mit Schreiben vom 29.7.2011 eine entsprechende Zusage erteilt habe; dass der Beklagte dieses Schreiben nicht erhalten haben will, sei neues, verspätetes Vorbringen.
Entscheidung: Kein Anwaltsvertrag zustande gekommen
Der BGH hat die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin zurückgewiesen und auf die Anschlussrevision des Beklagten das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt. Zwischen den Parteien sei entgegen der Annahme des Berufungsgerichts kein Anwaltsvertrag über die Geltendmachung etwaiger Ansprüche des Beklagten gegen die Wirtschaftsprüfer zustande gekommen:
- In der Übersendung des Vollmachtsformulars habe – anders als das Berufungsgericht angenommen habe – nicht die Annahme eines auf die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Wirtschaftsprüfer gerichteten Angebots der Klägerin gelegen. Das Berufungsgericht habe den insoweit unstreitigen Sachverhalt – nämlich den Umstand, dass der Beklagte dabei auf das Schreiben vom 9.3.2011 geantwortet habe – unvollständig gewürdigt und dabei den Grundsatz der beiderseits interessengerechten Auslegung von Willenserklärungen außer Acht gelassen. In dem Schreiben vom 9.3.2011 habe die Klägerin hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie die (behaupteten) Ansprüche gegen die Wirtschaftsprüfer erst nach Einholung einer Deckungszusage geltend machen werde. Bei Problemen habe sie beim Beklagten nachfragen wollen, wie weiter verfahren werden sollte. Diese Vorgehensweise habe im Interesse beider Parteien gelegen. Die Klägerin habe nicht tätig zu werden brauchen, solange die Deckungszusage nicht vorgelegen habe. Der Beklagte habe dann, wenn es bei der Einholung der Deckungszusage zu Schwierigkeiten kommen sollte, entscheiden können, welches Kostenrisiko er eingehen wolle.
- Auch das unbeantwortet gebliebene Anschreiben der Klägerin vom 12.8.2011 habe nicht zum Abschluss eines Anwaltsvertrages geführt. Dieses enthalte für sich genommen kein Angebot auf Abschluss eines Anwaltsvertrages. Es bringe klar zum Ausdruck, dass nach Ansicht der Klägerin mit dem Schreiben des Versicherers vom 29.7.2011 keine Deckungszusage erteilt worden sei, und befasse sich ausschließlich mit der Frage des Versicherungsschutzes. Ein Angebot auf Abschluss eines Anwaltsvertrages, welches sich aus einer Zusammenschau beider Schreiben der Klägerin ergeben könnte, habe nicht gem. § 151 BGB ohne Erklärung gegenüber der Klägerin angenommen werden können, denn im Schreiben vom 9.3.2011 habe die Klägerin erklärt, dass sie sich beim Beklagten melden werde, wenn es Probleme bei der Einholung der Deckungszusage geben würde, und das Schreiben vom 12.8.2011, das von solchen Problemen berichte, verhalte sich nicht dazu, wie hinsichtlich der Ansprüche – etwa im Hinblick auf die zum Jahresende drohende Verjährung – verfahren werden sollte.
Darauf, dass das Schreiben des Versicherers vom 29.7.2011 nach BGH NJW 2016, 61, tatsächlich als Deckungszusage auszulegen sei, komme es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht an. Die Parteien hätten die Geltendmachung der (vermeintlichen) Ansprüche nicht nur von der Erfüllung einer Deckungszusage, sondern auch davon abhängig gemacht, dass es keine Probleme hinsichtlich der Deckungszusage geben werde. Derartige Probleme habe es aber gegeben.
Praxishinweis
Die Entscheidung befasst sich mit Fragen, die sich im Hinblick auf das Zustandekommen von Anwaltsverträgen häufiger stellen können. Auch wenn sie stark auf den Einzelfall zugeschnitten erscheint, lassen sich einige Gesichtspunkte erkennen, auf die in der Praxis zu achten ist. Zum einen wird ein Anwaltsvertrag nicht schon dadurch (konkludent) abgeschlossen, dass der potentielle Mandant das ihm übersandte Vollmachtsformular unterzeichnet und zurücksendet. Zum anderen empfiehlt es sich, im Fall einer Rechtsschutzversicherung auf Seiten des potentiellen Mandanten zweifelsfrei zu klären, ob der Anwaltsvertrag unbedingt oder nur im Fall der Erteilung einer Deckungszusage durch die Rechtsschutzversicherung zustande kommen soll.