BGH zur Frage von Stornogebühren bei Reiserücktritt wegen Corona
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Der Bundesgerichtshof hatte in drei Fällen darüber zu entscheiden, ob Reiseveranstalter von Reisenden, die vor Beginn von für den Sommer 2020 geplanten Pauschalreisen wegen Corona zurückgetreten waren, eine Entschädigung (Stornogebühren) fordern können. Dies hängt nach den Entscheidungen von den Umständen des Einzelfalls ab. Im Fall einer 84-jährigen Frau mit vorgeschädigter Lunge, die im Januar 2020 eine Donaukreuzfahrt gebucht hatte, bejahte der BGH einen kostenfreien Rücktritt. In den beiden anderen Fällen verwies der BGH die Sache an das Landgericht zurück beziehungsweise setzte das Verfahren aus, um eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs abzuwarten.

Rücktritt von Kreuzfahrten und Reise nach Mallorca wegen Corona

Im ersten Fall (Az.: X ZR 66/21) buchte die 84-jährige Klägerin, die wiederholt Lungen- und Bronchialentzündungen gehabt hatte, im Januar 2020 eine Donaukreuzfahrt im Zeitraum vom 22. bis 29. Juni 2020, trat dann aber wegen der Pandemie am 07.06.2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung. Die Beklagte berechnete ihrerseits Stornokosten in Höhe von 85% des Reisepreises. Die Flusskreuzfahrt wurde mit einem angepassten Hygienekonzept und einer von 176 auf 100 verringerten Passagierzahl durchgeführt. Im zweiten Verfahren (Az.: X ZR 84/21) buchte der Kläger im Februar 2020 eine Pauschalreise nach Mallorca im Zeitraum vom 05. bis 17.07.2020, trat am 03.06.2020 von der Reise zurück und verlangte auch hier die Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung, der Reiseveranstalter berechnete Stornokosten in Höhe von 25% des Reisepreises. Das vom Kläger gebuchte Hotel war zum Zeitpunkt seines Rücktritts und im Reisezeitraum geschlossen. Im dritten Fall (Az.: X ZR 3/22) buchte der Kläger eine Ostseekreuzfahrt im Zeitraum vom 22. bis 29.08.2020, trat am 31.03.2020 von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der von ihm geleisteten Anzahlung. Die Kreuzfahrt wurde von der Beklagten am 10.07.2020 pandemiebedingt abgesagt.

Vorinstanzen verneinten Entschädigungsanspruch der Reiseveranstalter

Die Klagen hatten in den Vorinstanzen Erfolg. Im ersten Verfahren gelangten das Amtsgericht und das Landgericht zu dem Ergebnis, schon im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung sei aufgrund der erhöhten Ansteckungsgefahr eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise durch die Covid-19-Pandemie als unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinn von § 651h Abs. 3 BGB hinreichend wahrscheinlich gewesen. Im zweiten Verfahren bejahte das Landgericht einen Rückzahlungsanspruch, weil das vom Kläger gebuchte Hotel im fraglichen Zeitraum geschlossen war und schon dieser Umstand dazu führe, dass der Kläger ohne Entschädigungspflicht vom Vertrag habe zurücktreten können. Im dritten Verfahren ließen die Vorinstanzen offen, ob die Voraussetzungen von § 651h Abs. 3 BGB im Zeitpunkt des Rücktritts vorlagen, und bejahten einen Rückzahlungsanspruch schon aufgrund der später erfolgten Absage der Reise.

BGH: Corona-Pandemie im Sommer 2020 außergewöhnlicher Umstand mit erheblichem Beeinträchtigungspotential 

Für die Beurteilung der drei Fälle kommt es jeweils darauf an, ob die jeweils beklagte Reiseveranstalterin dem Anspruch der jeweiligen Klagepartei auf Rückzahlung des Reisepreises einen Anspruch auf Entschädigung nach § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB entgegenhalten kann. Der Anspruch ist nach § 651h Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinn von § 651h Abs. 3 BGB liegt dabei laut BGH nicht nur dann vor, wenn feststehe, dass die Durchführung der Reise nicht möglich ist oder zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Gesundheit oder sonstiger Rechtsgüter des Reisenden führen würde. Sie könne vielmehr schon dann zu bejahen sein, wenn die Durchführung der Reise aufgrund von außergewöhnlichen Umständen mit erheblichen und nicht zumutbaren Risiken in Bezug auf solche Rechtsgüter verbunden wäre. Die Beurteilung, ob solche Risiken bestehen, erfordere regelmäßig eine Prognose aus der Sicht eines verständigen Durchschnittsreisenden, so die Karlsruher Richter. Die Covid-19-Pandemie im Reisezeitraum Sommer 2020 sei als Umstand im Sinn von § 651h Abs. 3 BGB zu bewerten, der grundsätzlich geeignet gewesen sei, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen. Eine Anwendung von § 651h Abs. 3 BGB, also Ausschluss des Entschädigungsanspruchs, sei auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Covid-19-Pandemie weltweit wirkte und dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort der Reisenden vorgelegen haben.

Fall 1: Erhebliche Beeinträchtigung bejaht: Enge auf Schiff, Alter, Buchung vor Pandemie

Im ersten Fall sei das Berufungsgericht im Rahmen seiner tatrichterlichen Würdigung rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass im Zeitpunkt des Rücktritts eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise aufgrund der Covid-19-Pandemie hinreichend wahrscheinlich war, so der BGH. Das Berufungsgericht habe zurecht eine unzumutbare Gesundheitsgefährdung der Klägerin insbesondere wegen der räumlichen Verhältnisse an Bord eines Flusskreuzfahrtschiffs, der nicht bestehenden Impfgelegenheit und der nicht vorhandenen Therapien gegen Covid 19 bejaht. Das Berufungsgericht habe dabei das Hygienekonzept der Beklagten und den Umstand, dass die im Zeitpunkt des Rücktritts bestehende Reisewarnung befristet war und noch vor Beginn der Reise ablief, berücksichtigt. Zulässigerweise habe das Berufungsgericht auch auf das Alter der Klägerin Bezug genommen. Das sei jedenfalls dann möglich, so die BGH-Richter, wenn erst solche Umstände, die bei Vertragsschluss noch nicht absehbar waren, und die daraus resultierenden Risiken dazu führen, dass die Reisende zu einer Personengruppe gehört, für die die Reise mit besonderen Gefahren verbunden ist. Nach den Umständen bei Vertragsschluss hätte das Alter der Klägerin einer Teilnahme an der Reise nicht entgegengestanden – erst die Pandemie und die aus ihr folgenden Risiken hätten den Charakter der Reise verändert, so der BGH.

Fall 2: Geschlossenes Hotel allein begründet keine erhebliche Beeinträchtigung

Laut BGH nahm das Berufungsgericht im zweiten Verfahren zutreffend an, dass der Vortrag des Klägers zu der durch Unsicherheit und Unwägbarkeiten geprägten pandemischen Lage in Europa ab Frühjahr 2020 und zu allgemeinen Maßnahmen zur Herabsetzung der Infektionswahrscheinlichkeit sowie die Bezugnahme auf ein für den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) erstelltes Gutachten nicht den Schluss auf eine erhebliche Beeinträchtigung zulassen, weil daraus nicht hervorgehe, welche konkreten Infektionsrisiken im maßgeblichen Zeitraum (Juli 2020) auf Mallorca bestanden hätten. Eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinn von § 651h Abs. 3 BGB ergebe sich auch nicht daraus, dass das vom Kläger gebuchte Hotel im Reisezeitraum geschlossen war. Zwar könne die Unterbringung in einem anderen als dem gebuchten Hotel trotz Zuweisung einer gleichwertigen Ersatzunterkunft am gleichen Ort einen zur Minderung berechtigenden Reisemangel darstellen. Ein zur Minderung berechtigender Reisemangel begründe aber nicht ohne weiteres eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinn von § 651h Abs. 3 BGB. Ob eine solche Beeinträchtigung vorliege, muss laut BGH aufgrund einer an Zweck und konkreter Ausgestaltung der Reise sowie an Art und Dauer der Beeinträchtigung orientierten Gesamtwürdigung beurteilt werden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei eine solche Würdigung auch dann erforderlich, wenn der Reisende in einem anderen Hotel untergebracht werden soll. Da der BGH-Senat diese im Wesentlichen dem Tatrichter überlassene Würdigung nicht selbst vornehmen könne, sei die Rechtssache an die Vorinstanz zurückverwiesen worden.

Fall 3: Verfahren ausgesetzt, um EuGH-Entscheidung abzuwarten

Das dritte Verfahren hat der BGH ausgesetzt, um eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Az.: C-477/22) in der Sache abzuwarten, die er diesem Anfang August vorgelegt hat (Az.: X ZR 53/21). Die Entscheidung des Rechtsstreits hänge von der Beantwortung der dem EuGH bereits vorliegenden Frage zur Auslegung der der EU-Pauschalreise-Richtlinie ab. Dabei geht es um die Frage, ob auch nach dem Rücktritt auftretende Umstände für die Frage einer möglichen Entschädigung des Reiseveranstalters zu berücksichtigen sind. 

BGH, Beschluss vom 30.08.2022 - X ZR 3/22

Gitta Kharraz, 31. August 2022.