BGH: Zulässige Verrechnung von Beitragsschulden im Notlagentarif

VVG § 193 Vi, VII, IX

Im Notlagentarif der privaten Krankenversicherung ist der Versicherer nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs nicht gehindert, mit rückständigen Beiträgen gegen Kostenerstattungsansprüche des Versicherungsnehmers aufzurechnen.

BGH, Urteil vom 05.12.2018 - IV ZR 81/18 (LG Osnabrück), BeckRS 2018, 33433

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 1/2019 vom 17.01.2019

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Sachverhalt

Der bei der Beklagten krankenversicherte Kläger ist bei dieser wegen Prämienrückständen seit dem 01.09.2016 im Notlagentarif versichert. Auf eine Rechnung für die Kosten einer Krankenbehandlung im Zeitraum November 2016 hin übersandte die Beklagte dem Kläger eine Abrechnung, aus der sich eine Aufrechnung mit Prämienrückständen ergibt. Eine Zahlung an den Kläger erfolgte nicht.

Das Amtsgericht hat die Klage auf Zahlung der Krankenbehandlungskosten abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben.

Rechtliche Wertung

Auch die Revision hat keinen Erfolg. Der BGH hat entschieden, dass der Versicherer im Notlagentarif der privaten Krankenversicherung nicht gehindert ist, mit vollständigen Beiträgen gegen Kostenerstattungsansprüche des Versicherungsnehmers aufzurechnen.

Im Anschluss an die Darstellung des Meinungsstreits in Rechtsprechung und Schrifttum über die Frage, ob der Versicherer berechtigt ist, gegenüber Ansprüchen des Versicherungsnehmers auf Versicherungsleistungen aus dem Notlagentarif mit rückständigen Prämien aufzurechnen, stimmte der BGH der Ansicht zu, die auch im Notlagentarif eine Aufrechnung des Versicherers mit rückständigen Prämienforderungen für zulässig erachtet.

Der IV. Zivilsenat führte aus, dass zunächst der Wortlaut der Neuregelungen der § 193 Abs. 6 bis Abs. 9 VVG keinerlei Anordnung eines Aufrechnungsverbotes des Versicherers enthalte. Auch führe der Wechsel in den Notlagentarif nicht dazu, dass die bisherigen Prämienforderungen untergehen. Dies ergebe sich im Umkehrschluss aus § 193 Abs. 9 Satz 1 VVG, wonach der Vertrag in dem Tarif fortgesetzt wird, in dem der Versicherungsnehmer vor Eintritt des Ruhens versichert war, wenn alle rückständigen Prämienanteile einschließlich der Säumniszuschläge und der Beitreibungskosten gezahlt sind.

Nichts anderes folge aus der Systematik der Regelung über den Notlagentarif. Den gesetzlichen Regelungen in § 394 Satz 2 BGB und § 35 VVG vermag der IV. Zivilsenat kein Aufrechnungsverbot für den Versicherer gegenüber Leistungsansprüchen des Versicherungsnehmers im Notlagentarif entnehmen. Ferner ergebe sich ein Aufrechnungsverbot auch nicht aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Den Gesetzesmaterialien zu dem Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung lasse sich an keiner Stelle entnehmen, dass der Gesetzgeber dem Versicherer die Aufrechnung mit Prämienansprüchen gegenüber Leistungsansprüchen des Versicherungsnehmers untersagen wollte (vgl. BT-Drucks. 17/13079 S. 1, 6 f., 9 f.; 17/13947 S. 31 f.).

Schließlich, so der BGH weiter, gebieten auch der Sinn und Zweck des Gesetzes nicht, dem Versicherer die Aufrechnung mit Prämienforderungen gegenüber Leistungsansprüchen des Versicherungsnehmers aus dem Notlagentarif zu untersagen. Das Ziel der Einführung des Notlagentarifs, die Beitragsschuldner vor weiterer Überschuldung zu schützen, werde mit der Herabsetzung der Beitragspflicht erreicht, deren Sinn und Zweck es gerade auch sei, dem Versicherungsnehmer die Bezahlung rückständiger Prämien aus der Zeit vor der Ruhendstellung des Vertrages zu ermöglichen. Auch das vom Gesetzgeber vorgesehene Ziel einer Notfallversorgung werde erreicht, ohne dass es eines Aufrechnungsverbots bedürfe. Sei der Versicherungsnehmer wegen seiner finanziellen Verhältnisse nicht in der Lage, die Forderungen der Leistungserbringer selbst zu begleichen, trete bei Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG das Ruhen des Vertrages nicht ein oder ende. Sei der Versicherungsnehmer trotz fehlender Hilfebedürftigkeit nicht in der Lage und/oder willens, Forderungen medizinischer Leistungserbringer selbst zu bezahlen, weil der Versicherer seine Leistungspflicht durch Aufrechnung mit ihm zustehenden Prämienforderungen erfüllt, falle dies in seinen Risikobereich.

Praxishinweis

Am Ende der Entscheidung reißt der BGH noch kurz die Frage einer Aufrechnungsmöglichkeit des Versicherers im Basistarif an, wo der Leistungsträger – im Unterschied zum Notlagentarif – einen Direktanspruch hat. Dazu wird teilweise die Auffassung vertreten, dass aus dem Wortlaut des § 192 Abs. 7 VVG («soweit der Versicherer aus dem Versicherungsverhältnis zur Leistung verpflichtet ist») folge, dass der Versicherer auch im Verhältnis zum Leistungserbringer nur im Umfang des Deckungsverhältnisses verpflichtet ist und somit gegenüber dem Leistungserbringer mit rückständigen Prämienforderungen aufrechnen kann (Voit in Prölss/Martin, VVG 30. Aufl. § 192 Rn. 225 m.w.N.).

Redaktion beck-aktuell, 22. Januar 2019.