BGH zu Gren­zen des An­spruchs auf Aus­bil­dungs­un­ter­halt

Der Bun­des­ge­richts­hof hat sich in einem so­ge­nann­ten Ab­itur-Lehre-Stu­di­um-Fall mit der Frage be­fasst, in wel­chem Um­fang die El­tern eine Be­rufs­aus­bil­dung ihrer Kin­der fi­nan­zie­ren müs­sen. Im ent­schie­de­nen Fall er­ach­te­te er die In­an­spruch­nah­me eines Va­ters auf Aus­bil­dungs­un­ter­halt für ein Me­di­zin­stu­di­um sei­ner zu Stu­di­en­be­ginn fast 26-jäh­ri­gen Toch­ter für un­zu­mut­bar, weil die­ser mit der Auf­nah­me eines Stu­di­ums nicht mehr rech­nen muss­te und be­reits schüt­zens­wer­te fi­nan­zi­el­le Dis­po­si­tio­nen ge­trof­fen hatte (Be­schluss vom 03.05.2017, Az.: XII ZB 415/16).

Toch­ter nimmt nach Lehre mit 26 Jah­ren Me­di­zin­stu­di­um auf

Das An­trag stel­len­de Land nimmt den An­trags­geg­ner auf Aus­bil­dungs­un­ter­halt aus über­ge­gan­ge­nem Recht in An­spruch, nach­dem es des­sen Toch­ter BAföG-Vor­aus­leis­tun­gen ge­währt hatte. Die im No­vem­ber 1984 ge­bo­re­ne nicht­ehe­li­che Toch­ter er­warb 2004 das Ab­itur mit einem No­ten­durch­schnitt von 2,3. Ab dem Win­ter­se­mes­ter 2004/2005 be­warb sie sich im Ver­ga­be­ver­fah­ren der Zen­tral­stel­le für die Ver­ga­be von Stu­di­en­plät­zen um einen Me­di­zin­stu­di­en­platz. Nach­dem ihr kein sol­cher zu­ge­wie­sen wor­den war, be­gann sie im Fe­bru­ar 2005 eine Lehre als an­äs­the­sie­tech­ni­sche As­sis­ten­tin, die sie im Ja­nu­ar 2008 er­folg­reich ab­schloss. Ab Fe­bru­ar 2008 ar­bei­te­te sie in dem er­lern­ten Beruf. Für das Win­ter­se­mes­ter 2010/2011 wurde ihr schlie­ß­lich ein Stu­di­en­platz zu­ge­wie­sen. Seit­dem stu­diert sie Me­di­zin.

Toch­ter hatte nach Ab­itur nicht auf Schrei­ben des Va­ters zum Un­ter­halt re­agiert    

Im Sep­tem­ber 2011 er­hielt der Vater durch die Auf­for­de­rung des Stu­die­ren­den­werks zur Aus­kunft über seine fi­nan­zi­el­len Ver­hält­nis­se Kennt­nis von der Stu­di­en­auf­nah­me sei­ner Toch­ter. Er hatte weder mit deren Mut­ter noch mit ihr je­mals zu­sam­men­ge­lebt und seine Toch­ter letzt­mals ge­trof­fen, als sie 16 Jahre alt war. Per Brief hatte er ihr 2004 nach dem Ab­itur – des­sen er­folg­rei­che Ab­le­gung er an­nahm – mit­ge­teilt, er gehe vom Ab­schluss der Schul­aus­bil­dung aus und davon, kei­nen wei­te­ren Un­ter­halt mehr zah­len zu müs­sen. Soll­te dies an­ders sein, möge sich seine Toch­ter bei ihm mel­den. Nach­dem eine Re­ak­ti­on hier­auf un­ter­blieb, stell­te er die Un­ter­halts­zah­lun­gen für seine Toch­ter ein. Das Amts­ge­richt wies den An­trag ab. Die da­ge­gen ge­rich­te­te Be­schwer­de des Lan­des wies das Ober­lan­des­ge­richt zu­rück (FuR 2017, 94). An­schlie­ßend legte das Land Rechts­be­schwer­de ein.

BGH: In Ab­itur-Lehre-Stu­di­um-Fäl­len enger zeit­li­cher und sach­li­cher Zu­sam­men­hang der Aus­bil­dungs­ab­schnit­te er­for­der­lich

Die Rechts­be­schwer­de blieb ohne Er­folg. Gemäß § 1610 Abs. 2 BGB um­fas­se der Un­ter­halt eines Kin­des die Kos­ten einer an­ge­mes­se­nen Aus­bil­dung zu einem Beruf. Ge­schul­det werde da­nach eine Be­rufs­aus­bil­dung, die der Be­ga­bung und den Fä­hig­kei­ten, dem Leis­tungs­wil­len und den be­ach­tens­wer­ten Nei­gun­gen des Kin­des am bes­ten ent­spre­che und sich in den Gren­zen der wirt­schaft­li­chen Leis­tungs­fä­hig­keit der El­tern halte. Ein ein­heit­li­cher Aus­bil­dungs­gang in die­sem Sinn könne auch dann ge­ge­ben sein, wenn ein Kind nach Er­lan­gung der Hoch­schul­rei­fe auf dem her­kömm­li­chen schu­li­schen Weg (Ab­itur) eine prak­ti­sche Aus­bil­dung (Lehre) ab­sol­viert hat und sich erst da­nach zu einem Stu­di­um ent­schlie­ßt (so­ge­nann­te Ab­itur-Lehre-Stu­di­um-Fälle). Hier­für müss­ten die ein­zel­nen Aus­bil­dungs­ab­schnit­te je­doch in einem engen zeit­li­chen und sach­li­chen Zu­sam­men­hang ste­hen. Die prak­ti­sche Aus­bil­dung und das Stu­di­um müss­ten sich je­den­falls sinn­voll er­gän­zen.

Zu­mut­bar­keit der Zah­lung von Aus­bil­dungs­un­ter­halt ma­ß­geb­lich

Wie der BGH wei­ter aus­führt, ist der aus § 1610 Abs. 2 BGB fol­gen­de An­spruch zudem vom Ge­gen­sei­tig­keits­prin­zip ge­prägt. Der Ver­pflich­tung des Un­ter­halts­schuld­ners zur Er­mög­li­chung einer Be­rufs­aus­bil­dung stehe auf Sei­ten des Un­ter­halts­be­rech­tig­ten die Ob­lie­gen­heit ge­gen­über, sie mit Fleiß und der ge­bo­te­nen Ziel­stre­big­keit in an­ge­mes­se­ner und üb­li­cher Zeit auf­zu­neh­men und zu be­en­den, wobei ein vor­über­ge­hen­des leich­te­res Ver­sa­gen des Kin­des un­schäd­lich sei. Eine feste Al­ters­gren­ze, ab deren Er­rei­chen der An­spruch auf Aus­bil­dungs­un­ter­halt ent­fal­le, lasse sich dem Ge­setz nicht ent­neh­men. Die Un­ter­halts­pflicht rich­te sich viel­mehr nach den Um­stän­den des Ein­zel­falls. Ma­ß­geb­lich sei, ob den El­tern unter Be­rück­sich­ti­gung aller Um­stän­de die Leis­tung von Aus­bil­dungs­un­ter­halt noch zu­mut­bar ist.

Alter des Aus­zu­bil­den­den kann Un­ter­halts­pflicht ent­ge­gen­ste­hen

Dies werde nicht nur durch die wirt­schaft­li­che Leis­tungs­fä­hig­keit der El­tern be­stimmt, son­dern auch davon, ob und in­wie­weit sie damit rech­nen müs­sen, dass ihr Kind wei­te­re Aus­bil­dungs­stu­fen an­strebt, so der BGH. Denn zu den schüt­zens­wer­ten Be­lan­gen des Un­ter­halts­pflich­ti­gen ge­hö­re, sich in der ei­ge­nen Le­bens­pla­nung dar­auf ein­stel­len zu kön­nen, wie lange die Un­ter­halts­last dau­ern werde. Eine Un­ter­halts­pflicht werde daher umso we­ni­ger in Be­tracht kom­men, je älter der Aus­zu­bil­den­de bei Ab­schluss sei­ner prak­ti­schen Be­rufs­aus­bil­dung sei. Auch wenn der Un­ter­halts­an­spruch keine Ab­stim­mung des Aus­bil­dungs­plans mit dem Un­ter­halts­pflich­ti­gen vor­aus­set­ze, könne es der Zu­mut­bar­keit ent­ge­gen­ste­hen, wenn der Un­ter­halts­pflich­ti­ge von dem Aus­bil­dungs­plan erst zu einem Zeit­punkt er­fährt, zu dem er nicht mehr damit rech­nen muss, zu wei­te­ren Aus­bil­dungs­kos­ten her­an­ge­zo­gen zu wer­den.

In­an­spruch­nah­me des Va­ters hier un­zu­mut­bar

Laut BGH be­stand da­nach im vor­lie­gen­den Fall kein Un­ter­halts­an­spruch mehr. Al­ler­dings sei das Stu­di­um nicht al­lein wegen der Ab­itur­no­te un­an­ge­mes­sen. Ent­stün­den bei einem mit Nu­me­rus Clau­sus be­leg­ten Stu­di­en­gang no­ten­be­ding­te War­te­zei­ten, könne das le­dig­lich zur Folge haben, dass das Kind sei­nen Be­darf wäh­rend der War­te­zeit durch eine ei­ge­ne Er­werbs­tä­tig­keit si­cher­stel­len muss. Auch fehle ins­be­son­de­re nicht der zeit­li­che Zu­sam­men­hang zwi­schen Lehre und Stu­di­um, weil die Tä­tig­keit im er­lern­ten Beruf le­dig­lich der Über­brü­ckung der zwangs­läu­fi­gen War­te­zeit dien­te. Die In­an­spruch­nah­me des Va­ters sei auf­grund der Be­son­der­hei­ten des Ein­zel­falls hier un­zu­mut­bar, selbst wenn er wäh­rend der Lehre sei­ner Toch­ter nicht für ihren Un­ter­halt auf­kom­men muss­te.

Vater muss­te nicht mehr mit Stu­di­um rech­nen und traf schüt­zens­wer­te fi­nan­zi­el­le Dis­po­si­tio­nen

Denn bei dem Alter der Toch­ter von fast 26 Jah­ren bei Stu­di­en­be­ginn habe der Vater ty­pi­scher­wei­se nicht mehr ohne wei­te­res mit der Auf­nah­me eines Stu­di­ums sei­ner Toch­ter rech­nen müs­sen. Ent­spre­chend habe er im Ver­trau­en dar­auf, nicht mehr für den Un­ter­halt der Toch­ter auf­kom­men zu müs­sen, ver­schie­de­ne län­ger­fris­ti­ge fi­nan­zi­el­le Dis­po­si­tio­nen (kre­dit­fi­nan­zier­ter Ei­gen­heim­kauf, Kon­su­men­ten­kre­di­te) ge­trof­fen. Die­ses Ver­trau­en sei im vor­lie­gen­den Fall auch schüt­zens­wert, weil ihn seine Toch­ter trotz sei­ner schrift­li­chen Nach­fra­ge zu kei­nem Zeit­punkt über ihre Aus­bil­dungs­plä­ne in Kennt­nis ge­setzt hatte.

BGH, Beschluss vom 03.05.2017 - XII ZB 415/16

Redaktion beck-aktuell, 3. Mai 2017.

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