BGH: Zeitpunkt des Versicherungsfalles in der Rechtsschutzversicherung

ARB 2012 § 4 (1) Satz 1d

Für die zeitliche Festlegung des Rechtsschutzfalles gemäß § 4 (1) Satz 1 Buchst. d ARB 2012 ist nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs auf denjenigen Verstoß abzustellen, den der Versicherungsnehmer seinem Gegner anlastet. Nicht maßgeblich sind Rechtsverstöße, die der Gegner dem Versicherungsnehmer vorwirft, da hierauf nicht das Rechtsschutzbegehren gestützt wird. Auf die prozessuale Parteirolle oder eine anderweitig begründete Unterscheidung zwischen Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung kommt es insoweit nicht an.

BGH, Urteil vom 03.07.2019 - IV ZR 195/18 (LG Aachen), BeckRS 2019, 14965

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 16/2019 vom 08.08.2019

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Sachverhalt

Der Kläger begehrt von der Beklagten aus einer seit 01.01.2015 bestehenden Rechtsschutzversicherung Kostendeckung für die Abwehr von Gewährleistungsansprüchen aus dem Verkauf eines gebrauchten Pkw. Der Kaufvertrag datiert vom 18.06.2014, die Geltendmachung der Gewährleistungsansprüche erfolgte am 09.10.2015.

Die beklagte Versicherung wendet ein, dass der Rechtsschutzfall mit der Übergabe des Fahrzeugs und damit vor Beginn des Versicherungsvertrages eingetreten sei. Die Klage blieb in den Vorinstanzen erfolglos. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verurteilte den Versicherer, dem Kläger Rechtsschutzdeckung zu gewähren.

Rechtliche Wertung

Der Kläger habe, so der BGH, Anspruch auf Rechtsschutzdeckung, da der Versicherungsfall erst mit der Geltendmachung der nach Auffassung des Klägers unbegründeten Gewährleistungsansprüche durch die Käuferin und damit erst nach Beginn der Rechtsschutzversicherung und nicht schon mit dem Verkauf bzw. der Übergabe des angeblich mängelbehafteten Fahrzeugs eingetreten sei.

Die Festlegung des Versicherungsfalles richte sich nach § 4 (1) Satz 1 Buchst. d ARB 2012, wonach der Versicherungsfall zu dem Zeitpunkt als eingetreten gilt, in dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder begonnen haben soll. Dabei komme es allerdings trotz des abweichenden Wortlauts der Klausel allein auf die Tatsachen an, mit denen der Versicherungsnehmer sein Rechtsschutzbegehren begründet.

Eine wortlautkonforme Auslegung der Klausel berge die Gefahr einer uferlosen Rückverlagerung des Versicherungsfalls in sich (vgl. BGH, Urteil vom 05.11.2014 – IV ZR 22/13, r+s 2015, 16, Anmerkung Grams, FD-VersR 2014, 364540). Auf ein etwaiges eigenes Fehlverhalten des Versicherungsnehmers ließen sich eigene Ansprüche nicht stützen. Der Versicherungsnehmer könne dem Leistungsversprechen des Versicherers eine Solidaritätszusicherung entnehmen, dass der Versicherer ihn gegen die Vorwürfe des Gegners unterstütze (vgl. Maier, r+s 2015, 489, 492) und erwarte daher, dass der Versicherer von seiner, des Versicherungsnehmers, Darstellung und Bewertung des Geschehens und nicht von der des Gegners ausgehe. Für die zeitliche Bestimmung des Versicherungsfalls komme es nicht darauf an, den Wahrheitsgehalt unterschiedlicher Darstellungen oder die Richtigkeit unterschiedlicher Rechtsauffassungen zu klären.

Nicht maßgeblich sei insofern das Interesse des Versicherers, sogenannten Zweckabschlüssen vorzubeugen. Je nach den zeitlichen Umständen des Einzelfalls könne die Klausel zu einem für den Versicherungsnehmer günstigen oder ungünstigen Ergebnis führen. Von Zweckabschlüssen könne nur dort die Rede sein, wo der Abschluss der Versicherung vom Versicherungsnehmer gezielt darauf gerichtet sei, Versicherungsschutz für Auseinandersetzungen zu erlangen, deren Ursache bereits in vorvertraglicher Zeit gesetzt wurde. Dies setze jedoch eine Kenntnis des Versicherungsnehmers von der Streitursache voraus, auf die die Klausel ihrem Wortlaut nach gerade nicht abstelle.

Praxishinweis

Mit Entscheidung vom selben Tag (Az.: IV ZR 111/18, BeckRS 2019, 14599, Anmerkung Grams, FD-VersR 2019, 418952) hat der BGH ebenfalls entschieden, dass es auch bei einer Rechtsverteidigung gegen Ansprüche eines Dritten für die zeitliche Bestimmung des Versicherungsfalls auf den Verstoß ankommt, den der Versicherungsnehmer seinem Gegner anlastet.

Während es dort um einen Anspruch auf Rückzahlung eines Darlehens ging, dem der Versicherungsnehmer die Einrede der Verjährung entgegenhielt, waren es hier Gewährleistungsansprüche wegen angeblicher Unfallschäden der Kaufsache, von denen der Versicherungsnehmer im Kaufvertrag zugesichert hatte, dass sie bereits behoben seien. Insofern war es nicht völlig fernliegend, dass der Versicherer sich unter Berufung auf den Wortlaut der Klausel auf einen Rechtsverstoß des Versicherungsnehmers berief. Dies ist aber nach der Entscheidung des BGH nicht maßgeblich.

Wie sehr das Ergebnis von der Lage des Einzelfalls abhängt, zeigt ein Vergleich der beiden Entscheidungen. Im Fall IV ZR 111/18 hatte der Versicherungsnehmer keinen Versicherungsschutz, weil der Versicherungsvertrag zwischen den beiden in Frage kommenden Zeitpunkten beendet wurde, im vorliegenden Fall bestand Versicherungsschutz, weil der Versicherungsvertrag zwischen den beiden Zeitpunkten erst abgeschlossen wurde.

Redaktion beck-aktuell, 27. August 2019.