Wenn ein Titel vollstreckt wird, erneuert sich die Verjährung. Hebt ein Gericht den Vollstreckungstitel auf, gilt laut BGB wieder der ursprüngliche Verjährungsbeginn. Das Problem: Lässt die gerichtliche Entscheidung zu lange auf sich warten, kann der Anspruch inzwischen verjährt sein, ohne dass der Gläubiger oder die Gläubigerin noch etwas dagegen unternehmen kann. Der BGH hat nun entschieden, dass Gläubigerinnen und Gläubiger nach einer solchen Aufhebung sechs Monate Zeit haben, die Verjährungsunterbrechung zu retten, indem sie weitere rechtliche Schritte unternehmen (Beschluss vom 19.02.2025 – XII ZB 377/24).
Hintergrund ist ein über zehn Jahre alter Anspruch eines Jobcenters gegen einen zweifachen Vater. Zwischen 2008 und 2016 hatte dieser Arbeitslosengeld II ("Hartz IV" – heute Bürgergeld) bezogen, während das Jobcenter für den Kindesunterhalt aufkam. Schon im September 2008 war er aber verurteilt worden, den gezahlten Unterhalt an das Jobcenter zu erstatten. Das Jobcenter verlangte das Geld daraufhin zurück und versuchte seitdem durchgehend, aus dem Urteil zu vollstrecken.
Im Juni 2021 stellte das OLG Köln auf Antrag des Vaters allerdings fest, dass die Zwangsvollstreckung wegen eines Fehlers im Urteilstenor unzulässig gewesen sei. Im Juli 2021 beantragte das Jobcenter daraufhin beim OLG die Feststellung, dass der Titel an sich durchaus vollstreckungsfähig gewesen sei. Das Gericht stimmte dem im September 2022 zu. Nach einem erneuten Pfändungsversuch im Oktober 2022 berief sich der Vater dann aber auf die Verjährung des Anspruchs.
Der BGH hatte nun zu entscheiden, ob das Jobcenter die Verjährung auch mit dem fehlerhaften Titel erfolgreich unterbrochen hatte. Wie auch die Vorinstanzen bejahte der XII. Zivilsenat diese Frage im Ergebnis, wenngleich mit einem anderen Lösungsweg.
Fehlerhafter Vollstreckungstitel setzt Verjährung zurück
Der BGH führte aus, dass es dem Jobcenter an sich gelungen war, die Verjährung durch die stetigen – wenn auch erfolglosen – Vollstreckungsversuche immer wieder aufs Neue zurückzusetzen. Nach § 212 BGB beginne die Verjährung bei jeder Vollstreckungsmaßnahme von vorne.
Laut § 212 Abs. 2 BGB können diese Unterbrechungen aber rückwirkend unwirksam werden, und zwar wenn die Vollstreckungsmaßnahme selbst aufgehoben wird. Zwar sei hier nicht die konkrete Vollstreckung gerichtlich angegriffen worden, sehr wohl aber der zugrundeliegende Vollstreckungstitel. Dass der Titel mit Beschluss des OLG vom Juni 2021 für unzulässig erklärt wurde, stehe einer Aufhebung gleich.
Bis dahin würde das bedeuten, dass die Verjährung durch die Beitreibung des Jobcenters nicht unterbrochen worden wäre. Der Verjährungsbeginn wäre wieder auf Anfang gesetzt worden und daher inzwischen längst verjährt. Doch der Senat fand eine weitere rechtliche Ausnahme.
Aber: Versehen des Gesetzgebers
Der BGH kam zu dem Ergebnis, dass die Verjährung rückblickend zwar nicht durch die Vollstreckungsmaßnahmen des Jobcenters unterbrochen worden sei, wohl aber durch dessen Feststellungsantrag bei Gericht vom Juli 2021. Anstatt der Vorschriften zur Verjährungsunterbrechung zog der Senat hierfür eine Regel zur Verjährungshemmung heran. Dem Wortlaut nach ist diese Vorschrift für die Unterbrechung durch Zwangsvollstreckung zwar nicht anwendbar, der Senat wandte sie allerdings entsprechend an.
Er erklärte das mit dem alten Schuldrecht. Damals sei es Gläubigerinnen und Gläubigern möglich gewesen, die Verjährungsunterbrechung zu retten, indem sie binnen sechs Monaten nach der Aufhebung des Vollstreckungstitels neue verjährungsunterbrechende Maßnahmen ergriffen. Der Grund: Ein Gläubiger, der auf seinen Titel vertraute, galt als besonders schutzwürdig, wenn sich erst nachträglich herausstellte, dass dieser wegen eines fehlerhaften Tenors doch nicht vollstreckungsfähig war. Das sei auf die alte Fassung des § 212 Abs. 2 BGB gestützt worden. Dieser hatte die sechsmonatige "Rettungsfrist" bei Klagen vorgesehen, die zurückgenommen oder aus Verfahrensgründen abgewiesen worden waren und damit die Verjährung andernfalls wieder zurückgesetzt hätten. Der Rechtsgedanke sei anerkanntermaßen aber auch auf die Unterbrechung durch Vollstreckungshandlungen anwendbar gewesen.
Nach den Ausführungen des BGH liege das Problem nun darin, dass die Klageerhebung seit der Schuldrechtsmodernisierung kein Unterbrechungs- sondern nur noch ein Hemmungsgrund sei. Für Hemmungsgründe gebe es noch eine ähnliche sechsmonatige Nachfrist – nämlich in § 204 Abs. 2 S. 1 BGB – für Unterbrechungsgründe allerdings nicht mehr. Der Inhalt des alten § 212 Abs. 2 BGB ist ersatzlos gestrichen worden. Deshalb sei es in dieser Konstellation nun angebracht - wie auch bei Hemmungsgründen - eine sechsmonatige Nachfrist zuzulassen, so der BGH.
Das Jobcenter habe diese Frist gewahrt, indem es schon weniger als einen Monat nach der Aufhebung des Titels seinerseits gerichtliche Feststellung über die Vollstreckungsfähigkeit beantragt habe. Ohne diesen Antrag wäre es nach inzwischen 15 Jahren der Vollstreckung leer ausgegangen.