Würdigung der Einlassung bei einem Freispruch

Die Einlassung einer Angeklagten muss von einem Strafrichter genau wie alle anderen Beweismittel einer kritischen Überprüfung unterzogen werden. Der Bundesgerichtshof hob einen Freispruch auf, weil die Tatrichter die Einlassung als unwiderlegt hingenommen hatten, obwohl es gegenläufige Anhaltspunkte gab, die erörtert hätten werden müssen. Der 2. Strafsenat hat daran erinnert, dass in der Beweiswürdigung eine Gesamtschau aller Indizien vorgenommen werden muss. 

Provokation durch Verstoß gegen Maskenpflicht eskaliert

Eine Frau, ihr Lebensgefährte und ihr Halbbruder lehnten die sogenannten Coronaschutzverordnungen, insbesondere die 2020 geltende Maskenpflicht in geschlossenen öffentlichen Räumen, ab. Der Lebensgefährte, der der deutschen Sprache nicht mächtig war, wollte seine Einstellung mithilfe des Halbbruders als Sprachmittler öffentlichkeitswirksam propagieren. Sie planten gemeinsam, mit dem nicht-maskierten Lebensgefährten in einen Supermarkt zu gehen, sich daraufhin ansprechen zu lassen, um dann eine vorbereitete Erklärung zu verlesen. Die Angeklagte (mit Maske) sollte diese Szene aus der Entfernung beobachten. Am 09.05.2020 suchten sie zu dritt einen Supermarkt auf; die Frau trat als Kundin auf und bewegte sich mit einem Einkaufswagen umher. Ihr Lebensgefährte betrat den Laden ohne Maske mit seinem Sprachmittler. Wie vorhergesehen, wurde er angehalten und aufgefordert, eine Maske aufzusetzen. Es entspann sich eine rege Diskussion und zwei Polizisten wurden hinzugerufen. Der eine erteilte dem Halbbruder einen Platzverweis und der andere forderte die Frau auf, sich auszuweisen. Ein Supermarktmitarbeiter hatte dem Beamten gesagt, dass sie die Szene mit ihrem Mobiltelefon filme. Die Frau weigerte sich, ihre Personalien mitzuteilen, begann zu diskutieren und wollte dann mit ihrem Einkaufswagen weitergehen. Der Polizist griff nach ihr, sie schrie auf, die beiden Männer eilten herbei und ihr Lebensgefährte boxte einem Beamten ins Gesicht. Die Frau hielt dabei den einen Polizisten am Arm fest. Anschließend beruhigte die Frau ihren Freund. Vor dem Landgericht Bonn ließ sie sich dahingehend ein, sie habe die Männer lediglich begleitet, um Blumen für ihre Mutter zu kaufen. Ein Angriff auf die Polizisten sei nicht geplant gewesen. Das LG sprach die Frau vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit einem tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte frei. Dagegen erhob die Staatsanwaltschaft Revision zum BGH – mit Erfolg.

BGH: Beweiswürdigung lückenhaft und nicht nachvollziehbar

Die Karlsruher Richter hoben den Freispruch auf, weil das LG die Einlassung der Angeklagten als unwiderlegt hingenommen hatte. Die Urteilsgründe ließen die "erforderliche eigenständige und kritische Würdigung der Einlassung" vermissen. Die Angaben hätten nach Ansicht des BGH wie alle anderen Beweismittel nach § 261 StPO auf ihre Plausibilität und ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden müssen. Angesichts der vorherigen gemeinsamen Planung sei die Einlassung, sie habe die beiden Männer begleitet, um Blumen zu kaufen, überprüfungswürdig. Näherer Erörterung hätte es den Karlsruher Richtern zufolge auch bedurft, warum die drei Personen den Laden nicht einfach verlassen haben, wenn es doch nicht in eine körperliche Auseinandersetzung hätte münden sollen. Das LG habe auch nicht bedacht, dass der Entschluss zu einer gemeinschaftlichen Körperverletzung auch bis zur Beendigung der ursprünglich geplanten Tat möglich sei. Und zu guter Letzt bemängelte der 2. Strafsenat, dass es in den Urteilsgründen an einer Gesamtwürdigung aller Indizien fehlte.

BGH, Urteil vom 01.03.2023 - 2 StR 434/22

Redaktion beck-aktuell, 24. Mai 2023.