Wiedereinsetzung – Zumutbarkeit der persönlichen Übergabe
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Hält das Gericht den persönlichen Einwurf eines Schriftsatzes in den Gerichtsbriefkasten zur Fristwahrung für zumutbar, muss es vor der Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand den Antragsteller darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, dazu Stellung zu nehmen. Anderenfalls, so der Bundesgerichtshof am 08.03.2022 (Az.: VIII ZB 45/21), werde der Beteiligte in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

Frist verpasst, weil Telekommunikationsanschluss gesperrt wurde

Eine Mannheimer Anwältin stritt 2021 in eigener Sache um eine Mietkaution. Gegen das für sie ungünstige Urteil legte sie fristgerecht Berufung zum Oberlandesgericht Karlsruhe ein. Als sie dann am Tag des Fristablaufs ihre Berufungsbegründung per Telefax übermitteln wollte, war plötzlich ihr Telekommunikationsanschluss gesperrt. Vorgeschichte war, dass sie Rechnungen mit einer Gegenforderung aufgerechnet hatte, die ihr Vertragspartner erst später akzeptierte. Er vergaß aber, den Auftrag zur Sperrung ihres Anschlusses zurückzunehmen. Wegen der vorliegenden Zusage, diesen Fehler bis zum nächsten Tag zu beheben, bat sie die Geschäftsstelle des OLG telefonisch um die Verlängerung der Frist zum nächsten Tag. Die Zustimmung der Gegenseite hatte sie vorsorglich eingeholt. Als auch am nächsten Tag der Anschluss noch gesperrt war, fuhr sie selbst zum OLG, um den Schriftsatz einzuwerfen. Anschließend beantragte sie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das OLG lehnte ab und verwarf ihre Berufung. Der Bundesgerichtshof gab ihrer Rechtsbeschwerde statt.

Anwältin verpasste die Frist unverschuldet

Entgegen der Ansicht der Karlsruher OLG-Richter hätte der Antrag auf Wiedereinsetzung nach § 236 ZPO nicht mit der gegebenen Begründung abgelehnt werden dürfen. Ein Verschulden der Rechtsanwältin nach § 233 Satz 1 ZPO sei nicht offenkundig: Weder die Ausnutzung der Frist bis zum letzten Tag, noch die nicht vorhersehbare Sperrung des Anschlusses seien der Mannheimerin anzulasten. Die Ansicht des OLG, sie habe am Tag des Fristablaufs den Schriftsatz persönlich beim Gericht abgeben müssen – und nicht erst einen Tag später – berücksichtige nicht, ob die alternative Übermittlungsart für sie zumutbar gewesen sei. Ob darunter auch der persönliche Einwurf beim Gericht falle, sei noch nicht entschieden worden und könne auch hier offen bleiben. Jedenfalls hätte das Gericht der Anwältin vorher nach § 139 ZPO die Gelegenheit geben müssen, zu erklären, warum sie diesen Weg der Übermittlung nicht bereits am Tag des Fristablaufs gewählt habe. Dann hätte sie vortragen können, dass sie nach einem Schlaganfall zu 80% schwerbehindert ist und diese Übermittlungsart derartig beschwerlich sei, dass er ihr – ohne die am Folgetag mögliche Hilfe eines Dritten – nicht zuzumuten gewesen wäre.

BGH, Beschluss vom 08.03.2022 - VIII ZB 45/21

Redaktion beck-aktuell, 14. April 2022.