Wiedereinsetzung ohne ausdrücklichen Antrag

Eine Wiedereinsetzung kann auch ohne Antrag gewährt werden, wenn die versäumte Prozesshandlung fristgerecht nachgeholt worden ist. Deren Wirksamkeit kann laut Bundesgerichtshof aber nicht mangels eigenhändiger Unterschrift des Anwalts im Original verneint werden. Dessen Erklärung, er füge "die Kopie der Berufungsbegründung" bei, lasse keine Zweifel, dass es sich dabei um die von ihm verfassten Papiere handele, für die er die Verantwortung übernehme.

Streit über den Eingang bei Gericht

Die Fraktion einer Berliner Bezirksverordnetenversammlung verlangte von einem Abgeordneten die Zahlung von 4.550 Euro eingesammelter Spendengelder. Er habe die Summe bei mehreren Veranstaltungen zu ihren Gunsten eingesammelt, ohne sie weiterzureichen. Das AG Berlin-Mitte wies die Klage ab. Das LG Berlin gab auf die Berufung den Hinweis, dass bis zum Ablauf der bis zum 16.06.2020 verlängerten Frist keine Begründung eingegangen sei. Daraufhin teilte die Partei am 01.07.2020 per Fax mit, die Dokumente seien mehrere Tage vor Ablauf der Frist nachweislich postalisch zugestellt worden. Dazu legte sie eine eidesstattliche Versicherung einer Auszubildenden der Kanzlei ihres Anwalts vor, nach der diese das Schriftstück in unterschriebener Urschrift, beglaubigter und einfacher Abschrift am 10.06.2020 kuvertiert und in einen Postbriefkasten eingeworfen habe. Darin war die Kopie einer unterschriebenen Begründung mit Datum vom gleichen Tag "noch einmal beigefügt". Das LG verwarf die Berufung, da der Bevollmächtigte keinen Wiedereinsetzungsantrag – auch nicht konkludent – innerhalb der Frist des § 234 ZPO gestellt habe. Die Rechtsbeschwerde beim BGH hatte vorerst Erfolg.

LG war von einem zu engen Maßstab ausgegangen

Der III. Zivilsenat monierte, dass das LG eine Wiedereinsetzung mit dieser Begründung nicht hätte ablehnen dürfen. Eine solche sei nach § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO auch ohne Antrag zu gewähren, wenn die Partei die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt habe. Zwar sei diese in der für sie vorgeschriebenen Form nachzuholen, so dass die nachzureichende Berufungsbegründung nach § 130 Nr. 6 ZPO in Verbindung mit § 520 Abs. 5 ZPO als bestimmender Schriftsatz grundsätzlich von einem Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein müsse. Die Wirksamkeit des klägerischen Schriftstücks könne aber nicht wegen der darauf fehlenden eigenhändigen Unterschrift im Original verneint werden. Die Erklärung des Anwalts, er füge "die Kopie der Berufungsbegründung" bei, lasse keinen Zweifel, dass es sich dabei um die von ihm verfasste Berufungsbegründung handele. Damit habe er die Verantwortung für das Schriftstück ausdrücklich übernommen. Einer ausdrücklichen Erklärung die Prozesshandlung "nachzuholen" bedürfe es nicht. Der BGH verwies die Sache daher an das LG zurück. Im neuen Verfahren müsse es Feststellungen treffen, ob der vom Anwalt vorgetragene Sachverhalt zur Fertigung und Versendung der Berufungsbegründung hinreichend glaubhaft gemacht sei.

BGH, Beschluss vom 29.07.2021 - III ZB 84/20

Redaktion beck-aktuell, 16. September 2021.