Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei fehlender Akteneinsicht

Eine Begründungsfrist im Rahmen eines Berufungszulassungsverfahrens kann verlängert werden, wenn vor deren Ablauf ein Akteneinsichtsgesuch gestellt wird. Wird die Einsicht nicht wahrgenommen, kann der Betroffene formal noch einen Wiedereinsetzungsantrag stellen, um sein Rechtsmittel zu retten. Der Bundesgerichtshof lehnte die Zulassung der Berufung eines Rechtsanwalts ab, mit der dieser seinen Fachanwaltstitel verteidigen wollte.

Fachanwaltstitel verloren

Ein Fachanwalt für Strafrecht verlor nach neunzehn Jahren seinen Titel durch Widerruf der Rechtsanwaltskammer. Gegen diesen Bescheid klagte der Adressat vor dem Hessischen Anwaltsgerichtshof – aber zu spät. Das Gericht wies die Klage wegen Fristversäumnis im Juni per Gerichtsbescheid als unzulässig ab. Seinen Antrag auf Wiedereinsetzung wegen Krankheit lehnte es ebenfalls ab. Der Anwalt beantragte dann beim Bundesgerichtshof, die Berufung zuzulassen. Eine Begründung blieb er schuldig. Nach einem entsprechenden Hinweis des Gerichts im August trug er vor, er habe vor anderthalb Monaten die Akteneinsicht beim OLG beantragt, aber noch immer keine bekommen. Der BGH ließ ihm daraufhin die Wahl nach Karlsruhe zu kommen oder die Akte an ein AG vor Ort geschickt zu bekommen. Sie wurde auf seinen Wunsch zum Amtsgericht Frankfurt am Main gesendet, wo er Einsicht hätte nehmen können. Laut Aktennotiz des Amtsgerichts habe man ihn sowohl schriftlich als auch telefonisch informiert, in welcher Geschäftsstelle die Akte für ihn bereit liege. Nachdem er über zehn Tage später noch immer nicht da gewesen war, sendete das Amtsgericht die Akte zum BGH zurück. Der Anwalt wiederholte seinen Akteneinsichtsantrag im November noch zweimal: Zuerst behauptete er, erst jetzt die Benachrichtigung vom Amtsgericht erhalten zu haben, zwei Tage später behauptete er, noch keinerlei Nachricht vom Amtsgericht erhalten zu haben. Der BGH verwarf den Zulassungsantrag.

Antragsbegründungsfrist versäumt

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist nach § 112e Satz 2 BRAO binnen zweier Monate nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu begründen. Der Anwalt hatte laut den Karlsruher Richtern während der verlängerten Begründungsfrist ausreichend Gelegenheit, am Amtsgericht Frankfurt Kenntnis vom Akteninhalt zu nehmen, so dass seinem Anspruch auf rechtliches Gehör genügt worden ist. Trotzdem habe der Anwalt seinen Antrag nicht begründet.

Nachfolgende Akteneinsichtsanträge ohne Rechtsschutzbedürfnis

Laut den Bundesrichtern war die Akteneinsicht im November nicht mehr geeignet, dem Rechtsschutz zu dienen, denn inzwischen war kein Wiedereinsetzungsantrag in den vorherigen Stand zur Begründung der Berufungszulassung gestellt worden. Daher sei nicht ersichtlich, wie die Akteneinsicht noch zu einem Erfolg verhelfen könne. Grundsätzlich müsse der Einsichtsantrag vor Ablauf der Begründungsfrist gestellt werden und ohne Verschulden nicht gewährt worden sein. Da der behauptete erste Akteneinsichtsantrag gar nicht in der Akte war, wäre nach Ansicht des Anwaltssenats sowieso schon zweifelhaft, ob man hier die Wiedereinsetzung hätte gewähren können. Außerdem hätten der Ablehnung der Wiedereinsetzung durch den AGH Hessen ausschließlich Unterlagen zugrunde gelegen, die der Anwalt selbst eingereicht habe. Insoweit sei gar nicht ersichtlich, wie die Akteneinsicht einen Verfahrensfehler hätte zutage fördern können.

Keinen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt

Mittlerweile sei sogar die Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags abgelaufen, denn der Antrag wäre binnen einer Frist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses – dem Zeitpunkt einer möglichen Akteneinsicht – zu stellen gewesen. Im Übrigen: Hätte er die Verletzung rechtlichen Gehörs durch den AGH rügen wollen, hätte der Anwalt einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO beantragen müssen. Einen solchen Antrag hat er nicht gestellt.

Redaktion beck-aktuell, 10. März 2022.