Wiedereinsetzung bei zweistufiger Fristen-Kontrolle

Wird aus dem Fristenkalender einer Rechtsanwaltskanzlei versehentlich eine Frist für eine Berufungsbegründung gestrichen, obwohl der Schriftsatz noch nicht gefertigt ist, schließt das die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aus. Der Bundesgerichtshof gewährte diese, weil der Fehler bei regulärem Fortgang in der Abendkontrolle korrigiert worden wäre. Versage die zweite Kontrollstufe, könne nicht mehr auf ein Anwaltsverschulden in der ersten Stufe zurückgegriffen werden.

Versehentlich Berufungsbegründungsfrist gestrichen

In einem Rechtsstreit um den Widerruf eines Verbraucherdarlehens in Höhe von rund 35.000 Euro verlor der Kläger vor dem Landgericht Köln in erster Instanz. Die Berufung wurde eingelegt, aber nicht fristgerecht begründet. Nachdem das OLG Köln den Prozessbevollmächtigten darauf hingewiesen hatte, begründete der Kläger die Berufung und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Seine Rechtsanwälte trugen vor, die Fristen seien sowohl elektronisch als auch auf Papier zutreffend erfasst worden. Die Rechtsanwaltsfachangestellten würden die Fristen selbstständig auf Grundlage einer internen Arbeitsanweisung bearbeiten. Danach würden erledigte Fristen extra gekennzeichnet, so dass sie für die Abendkontrolle noch sichtbar seien. Am Ende des Arbeitstags würden alle fristgebundenen Ausgänge noch einmal anhand der Akte überprüft. Hier habe die sonst zuverlässig arbeitende Angestellte gesehen, dass die Frist als erledigt markiert war. Dann aber habe sie es versäumt, anhand der Akte zu überprüfen, ob die Berufungsbegründung tatsächlich versendet worden sei. Das Oberlandesgericht Köln wies den Wiedereinsetzungsantrag ab und verwarf die Berufung.

Zweistufige Fristenkontrolle angeordnet

Der BGH hob die Entscheidung auf, gewährte selbst Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO und verwies die Sache an das OLG Köln zurück. Den Anwälten sei kein organisatorisches Verschulden vorzuwerfen, da sie Vorkehrungen getroffen hätten, die im Regelfall ein Fristversäumnis ausschließen. Insbesondere hat die Kanzlei laut den Karlsruher Richtern angeordnet, die Fristen von fertig bearbeiteten Sachen so zu kennzeichnen, dass sie nicht aus dem Kalender verschwinden, sondern als erledigt sichtbar sind, so dass bei der Abendkontrolle das Augenmerk genau auf diese Fälle gelenkt werden kann. Am Ende des Tages werde dann anhand der Akte noch einmal separat überprüft, ob der entsprechende Schriftsatz tatsächlich versendet worden ist.

Fehler in der Abendkontrolle

Wie und warum die Begründungsfrist zuvor gestrichen wurde, ist dem XI. Zivilsenat zufolge unerheblich, weil die Angestellte diesen Fehler bei einer korrekt durchgeführten Abendkontrolle bemerkt und korrigiert hätte. Wegen der überholenden Kausalität bei der Fristenkontrolle auf der zweiten Stufe, die gerade auch individuelle Bearbeitungsfehler aus der ersten Stufe beheben soll, entfällt demnach ein etwaiges Organisationsverschulden der Anwälte. Entgegen der Kölner Richter schließe das frühere Verschulden des Prozessbevollmächtigten die Wiedereinsetzung daher nicht aus.

BGH, Beschluss vom 22.11.2022 - XI ZB 13/22

Redaktion beck-aktuell, 23. Dezember 2022.