Wiedereinsetzung bei ergänzendem Vortrag nach gerichtlichem Hinweis

Stützt sich eine Partei auf einen neuen vom Berufungsgericht hervorgehobenen Wiedereinsetzungsgrund innerhalb der gewährten Stellungnahmefrist, kann das Gesuch nicht wegen unzulässigen Nachschiebens versagt werden. Anderenfalls setzt sich das Gericht laut Bundesgerichtshof zu seinem eigenen Verhalten in Widerspruch.

Technische Störung versus Verwendung der falschen Faxnummer

Die Kläger hatten zunächst gegen ein Urteil des LG Chemnitz fristgerecht Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung war bis zum 14.03.2021 – einem Sonntag – verlängert worden. Am 12.03.2021 ging das Dokument in die normale Post ans OLG Dresden. Nachdem es dort am 17.03.2021 verspätet ankam, beantragten die Mandanten am 19.03.2021 Wiedereinsetzung – das Schriftstück sei am 15.03.2021 an die richtige Faxnummer "0351 446-1529" versandt worden, es habe wohl eine technische Störung gegeben. Der Vorsitzende wies darauf hin, dass das Fax nach seinen Unterlagen an eine falsche Nummer geschickt worden war. Innerhalb der dazu gewährten Stellungnahmefrist erklärte die Kanzlei, dass die Mitarbeiterin es versehentlich unterlassen habe, die auf dem Faxprotokoll niedergelegte Nummer ("0351 466-1529") mit der auf einem Originalschreiben des Empfängers vermerkten ("0351 446-1529") abzugleichen. Sie habe damit gegen eine Dienstanweisung verstoßen. Eine Kopie von dieser legte die Kanzlei dem Schreiben bei. Das OLG wies den Antrag zurück und verwarf die Berufung als unzulässig, da die Kläger nicht innerhalb der bereits abgelaufenen Antragsfrist vorgetragen hätten, §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Die am 22.04.2021 mitgeteilten Tatsachen könnten nicht mehr berücksichtigt werden: Dabei handle es sich um einen gänzlich anderen, dem Vorbringen widersprechenden Wiedereinsetzungsgrund. Die Rechtsbeschwerde beim BGH hatte Erfolg.

Kein unzulässiges Nachschieben

Dem V. Zivilsenat zufolge war den Klägern Wiedereinsetzung zu gewähren. Die obersten Bundesrichter monierten, dass das OLG sich mit seiner Argumentation in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten gesetzt hat. Dadurch sei der Anspruch der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verletzt worden (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Die Annahme des OLG, dass der maßgebliche Wiedereinsetzungsgrund erstmals im Schriftsatz vom 22.04.2021 und damit außerhalb der Frist des § 234 ZPO vorgebracht worden sei, sei rechtsfehlerhaft. Nachdem das OLG anhand der auf der Berufungsbegründung vermerkten Faxnummer und des Sendeprotokolls den Fehler bei der verwendeten Faxnummer erkannt und den Juristen darauf hingewiesen hatte, sei dieser Sachverhalt nicht mehr neu gewesen. Insoweit handele es sich nicht um ein unzulässiges Nachschieben eines neuen Wiedereinsetzungsgrundes. Der BGH verwies die Sache daher an das OLG zurück.

BGH, Beschluss vom 16.12.2021 - V ZB 34/21

Redaktion beck-aktuell, 7. März 2022.