BKartA geht gegen Baden-Württemberg wegen Holzvermarktung vor
Das Land Baden-Württemberg vermarktet – gebündelt mit dem Verkauf von Holz aus landeseigenem Staatswald – in Absprache mit den jeweiligen Eigentümern auch Rundholz, insbesondere Nadelholz, aus Wäldern, die im Eigentum baden-württembergischer Gemeinden oder Privater stehen (Körperschafts- und Privatwald). Das Bundeskartellamt (BKartA) sah hierin einen Verstoß gegen Vorschriften des GWB und leitete deshalb 2001 ein Verfahren gegen das Land ein.Land geht Verpflichtungszusagen ein
In diesem Verfahren verpflichtete sich das Land zur Ausräumung der kartellrechtlichen Bedenken zu Maßnahmen, mit denen eine vom Land unabhängige Vermarktung des Holzes aus Körperschafts- und Privatwald gefördert werden sollte (Verpflichtungszusagen). Unter anderem verpflichtete sich das Land, sich an Holzvermarktungskooperationen im Wesentlichen nur noch zu beteiligen, wenn die Forstbetriebsfläche der einzelnen beteiligten Waldbesitzer 3.000 Hektar nicht überstieg. Die Verpflichtungszusagen wurden vom Bundeskartellamt mit Verfügung vom 09.12.2008 gemäß § 32b GWB für bindend erklärt.
BKartA hebt Verpflichtungszusagenentscheidung nachträglich auf
Aufgrund neuer, ab 2012 durchgeführter Ermittlungen kam das Bundeskartellamt zu dem Ergebnis, dass der festgelegte Schwellenwert von 3.000 Hektar nicht ausreicht, um das Ziel einer wettbewerblichen Angebotsstruktur zu erreichen. Mit Entscheidung vom 09.07.2015 hob das Bundeskartellamt seine Verpflichtungszusagenentscheidung vom Dezember 2008 auf und erließ eine Abstellungsverfügung, der es – mit Übergangsfristen – einen Schwellenwert von letztlich 100 Hektar zugrunde legte. Hierbei untersagte es dem Land neben dem gemeinschaftlichen Holzverkauf auch, unter bestimmten weiteren Voraussetzungen für betroffene Waldbesitzer die jährliche Betriebsplanung, die forsttechnische Betriebsleitung und den Revierdienst durchzuführen.
Beschwerde des Landes vor OLG erfolglos
Die Beschwerde des Landes gegen diese Verfügung des Bundeskartellamts wies das Oberlandesgericht Düsseldorf im Wesentlichen zurück (NZKart 2017, 247). Nach seiner Auffassung war das Bundeskartellamt zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 32b Abs. 2 Nr. 1 GWB berechtigt. Für eine nachträgliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne dieser Vorschrift genüge es, dass das Bundeskartellamt aufgrund seiner Ermittlungen seit 2012 neue Erkenntnisse gewonnen habe, die eine Absenkung der Schwellenwerte rechtfertigten. In der Sache stelle die gebündelte Rundholzvermarktung durch das Land, das als Unternehmen im Sinne des Kartellrechts gehandelt habe, im Umfang der vom Bundeskartellamt ausgesprochenen Untersagung eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV dar.
BGH kippt Entscheidungen des OLG und des BKartA
Auf die Rechtsbeschwerde des Landes hat der BGH die Entscheidung des Beschwerdegerichts sowie die Entscheidung des Bundeskartellamts vom 09.07.2015 aufgehoben. Der Kartellsenat des BGH hat entschieden, dass eine Verpflichtungszusagenentscheidung nicht allein deshalb aufgehoben und das Abstellungsverfahren wieder aufgenommen werden kann, weil der Kartellbehörde nachträglich wesentliche Tatsachen bekannt werden, die bereits im Zeitpunkt der Entscheidung vorgelegen haben.
Objektive Veränderungen der Sachlage erforderlich
Mit einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse in einem für die Verfügung wesentlichen Punkt im Sinne des § 32b Abs. 2 Nr. 1 GWB seien vielmehr grundsätzlich objektive Veränderungen der Sachlage gemeint, so der BGH. Nachträgliche Erkenntnisse oder die Beseitigung von Fehlvorstellungen der Kartellbehörde bewirkten für sich genommen keine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne des § 32b Abs. 2 Nr. 1 GWB. Sie stellten deshalb keinen Wiederaufnahmegrund dar, sofern nicht die weiteren Voraussetzungen des § 32b Abs. 2 Nr. 3 GWB erfüllt seien.
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse können Wiederaufnahmegrund sein
Das nachträgliche Bekanntwerden wesentlicher Umstände berechtige die Kartellbehörde vielmehr nur dann zur Wiederaufnahme des Verfahrens, so der Kartellsenat, wenn diese Umstände – wie insbesondere bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen – entweder zuvor allgemein unbekannt waren oder wenn solche Umstände von der Kartellbehörde deshalb nicht in Erfahrung gebracht werden konnten, weil sie mit ihrer Aufdeckung durch weitere Ermittlungen nicht rechnen musste. Entsprechendes gelte für die Prognose, die die Kartellbehörde hinsichtlich der Auswirkungen der Verpflichtungszusagen auf die Marktverhältnisse anstellt. Eine ausbleibende positive Entwicklung des Wettbewerbs könne nur dann zur Wiederaufnahme des Verfahrens berechtigen, wenn sie unvorhersehbar war.
Keine Entscheidung zu Kartellrechtswidrigkeit der Holzvermarktungspraxis erforderlich
Da diese besonderen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Abstellungsverfahrens nach § 32b Abs. 2 Nr. 1 GWB im Streitfall nicht erfüllt waren, war die Verfügung des Bundeskartellamts laut BGH schon aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Deswegen habe er nicht mehr darüber entscheiden müssen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Holzvermarktungspraxis des Landes Baden-Württemberg kartellrechtswidrig ist.