Bei einem Verkehrsunfall, für den der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners voll haftet, wurde ein Pkw beschädigt. Dessen Halter beauftragte ein Sachverständigenbüro mit der Begutachtung des Pkw und trat seine diesbezüglichen Schadensersatzansprüche gegen die Haftpflichtversicherung an das Sachverständigenbüro ab. Die Versicherung erstattete die Kosten für das Gutachten, nahm aber einen in Rechnung gestellten "Zuschlag Schutzmaßnahme Corona" in Höhe von 20 Euro aus.
Die Gutachterin führte an, sie habe coronabedingt Desinfektionsmittel, Einwegreinigungstücher und Einmalhandschuhe anschaffen müssen. Ihre Klage war zunächst erfolglos. Das LG hielte ihre "Corona-Pauschale" für unzulässig. Mit der Revision hatte die Sachverständige Erfolg, denn der BGH hob das Urteil des Berufungsgerichts auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück.
Der Geschädigte habe von dem Versicherer dem Grunde nach die Kosten des eingeholten Sachverständigengutachtens ersetzt verlangen können. Denn er sei grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen. Dieser Anspruch sei durch die Abtretung auf das Sachverständigenbüro übergegangen (Urteil vom 12.03.2024 – VI ZR 280/22).
Sachverständigenrisiko zu behandeln wie Werkstattrisiko
Auf gegebenenfalls überhöhte Kostenansätze eines Kfz-Sachverständigen seien die Grundsätze zum Werkstattrisiko, die der BGH im Januar für überhöhte Kostenansätze einer Werkstatt für die Reparatur des beschädigten Fahrzeugs fortentwickelt hat, übertragbar. Denn den Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten seien nicht nur in dem werkvertraglichen Verhältnis mit einer Reparaturwerkstatt, sondern auch in dem werkvertraglichen Verhältnis mit einem Kfz-Sachverständigen Grenzen gesetzt. Vor allem, sobald er den Gutachtensauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände des Gutachters gegeben hat.
Ersatzfähig im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger seien demnach auch diejenigen Rechnungspositionen, die ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise unangemessen sind. Bei einem Kfz-Sachverständigen, der sein Grundhonorar nicht nach Stunden, sondern nach Schadenshöhe berechnet, komme ein für den Geschädigten nicht erkennbar überhöhter Ansatz beispielsweise auch dann in Betracht, wenn der Gutachter den Schaden unzutreffend zu hoch einschätzt. Diesbezügliche Mehraufwendungen sind laut BGH dann ebenfalls ersatzfähig.
Das Gleiche gelte für Rechnungspositionen, die sich auf – für den Geschädigten nicht erkennbar – tatsächlich nicht durchgeführte Maßnahmen im Zusammenhang mit der Begutachtung beziehen. Allerdings könne der Schädiger im Rahmen des Vorteilsausgleichs die Abtretung gegebenenfalls bestehender Ansprüche des Geschädigten gegen den Sachverständigen verlangen.
Die Anwendung der Grundsätze zum Werkstattrisiko auf die Sachverständigenkosten setze nicht voraus, dass der Geschädigte die Rechnung des Sachverständigen bereits bezahlt hat. Soweit er die Rechnung nicht beglichen hat, könne er – will er das Werkstattrisiko beziehungsweise das Sachverständigenrisiko nicht selbst tragen – die Zahlung der Sachverständigenkosten allerdings nicht an sich, sondern nur an den Sachverständigen verlangen, Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger (dieses Risiko betreffender) Ansprüche des Geschädigten gegen den Sachverständigen. Es gelten auch insoweit dieselben Grundsätze wie für die Instandsetzung des beschädigten Fahrzeugs.
Hat sich der Sachverständige die Schadensersatzforderung des Geschädigten in Höhe der Honorarforderung abtreten lassen, könne er sich als Zessionar allerdings nicht auf das Sachverständigenrisiko berufen. Die diesbezüglich vom BGH entwickelten Grundsätze gelten entsprechend für den Sachverständigen.
BGH hat keine Einwände gegen Corona-Zusatzkosten
Da im vorliegenden Fall das Sachverständigenbüro aus abgetretenem Recht des Geschädigten vorgeht, könne es sich auf das Sachverständigenrisiko nicht berufen. Es müsse vielmehr darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass die mit der Pauschale abgerechneten Corona-Schutzmaßnahmen tatsächlich durchgeführt wurden und objektiv erforderlich waren und dass die Pauschale auch ihrer Höhe nach nicht über das Erforderliche hinausgeht.
Dabei sei zu berücksichtigen, dass einem Sachverständigen als Unternehmer gewisse Entscheidungsspielräume hinsichtlich seines individuellen Hygienekonzepts während der Corona-Pandemie zuzugestehen sind. Es gehe nicht nur um den Schutz des Sachverständigen und seiner Mitarbeiter vor einer Ansteckung, sondern auch um den Schutz, den der Auftraggeber in Pandemie-Zeiten erwartet. Diesen Erwartungen zu entsprechen sei ein berechtigtes Anliegen des Sachverständigen.
Für grundsätzlich unbedenklich hält es der BGH, dass die Sachverständige die Corona-Pauschale gesondert berechnet hat. Einem Kfz-Sachverständigen stehe es frei, neben einem Grundhonorar für seine eigentliche Sachverständigentätigkeit Nebenkosten, auch in Form von Pauschalen, für tatsächlich angefallene Aufwendungen abzurechnen. Die betriebswirtschaftliche Entscheidung, ob die für das Hygienekonzept in der Corona-Pandemie anfallenden Kosten gesondert ausgewiesen oder als interne Kosten in die Kalkulation des Grundhonorars "eingepreist" werden, stehe dabei grundsätzlich dem Sachverständigen als Unternehmer zu. Es dürfe nur nicht beides kumulativ erfolgen.