BGH: Apotheken dürfen bei Kauf von Medikamenten auf Rezept keine Werbegeschenke zugeben

Apotheken dürfen ihren Kunden beim Erwerb verschreibungspflichtiger Arzneimittel keine Werbegaben gewähren. Dies gilt auch dann, wenn es sich um geringwertige Gaben wie einen Brötchen-Gutschein oder einen Ein-Euro-Gutschein handelt. Auch solche Werbegaben seien wettbewerbsrechtlich unzulässig, so der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 06.06.2019 (Az.: I ZR 206/17 und I ZR 60/18).

Verfahren um Brötchen-Gutschein

Im Verfahren I ZR 206/17 betreibt die Beklagte in Darmstadt eine Apotheke. Sie händigte einem Kunden im September 2014 anlässlich des Erwerbs eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels einen Brötchen-Gutschein über "2 Wasserweck oder 1 Ofenkrusti" aus. Der Gutschein konnte bei einer in der Nähe der Apotheke gelegenen Bäckerei eingelöst werden. Die Klägerin, die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, hat die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen, den Verkauf rezeptpflichtiger, preisgebundener Arzneimittel mit der kostenfreien Abgabe eines Brötchen-Gutscheins zu verknüpfen.

Vorinstanzen sehen wettbewerbswidrigen Verstoß gegen Preisbindungsvorschriften für Arzneimittel

Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben (BeckRS 2016, 127568). Die Berufung der Beklagten war ebenfalls ohne Erfolg geblieben (OLG Frankfurt a.M., GRUR 2018, 208). Das Berufungsgericht hatte angenommen, die Zugabe eines Brötchen-Gutscheins beim Erwerb eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels verstoße gegen die Preisbindungsvorschriften für Arzneimittel (§ 78 Abs. 2 Satz 2 und 3 AMG). Bei diesen Vorschriften handele es sich um Marktverhaltensregelungen, sodass ein solcher Verstoß zugleich wettbewerbswidrig sei (§ 3a UWG).

OLG: Rechtsprechung muss angepasst werden

Die Rechtsprechung habe zwar im Blick darauf, dass die Zuwendung geringwertiger Kleinigkeiten beim Erwerb von Arzneimitteln nach dem Heilmittelwerbegesetz (HWG) zulässig gewesen sei, die Spürbarkeit eines Verstoßes gegen das Arzneimittelpreisrecht verneint. Daran könne aber nicht mehr festgehalten werden, nachdem der Gesetzgeber die entsprechende Bestimmung des HWG mit Wirkung vom 13.08.2013 ausdrücklich um die Regelung ergänzt habe, dass entgegen den Preisvorschriften des AMG gewährte Zuwendungen oder Werbegaben unzulässig seien (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG). Der Umstand, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Preisvorschriften des AMG auf in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ansässige Apotheken keine Anwendung fänden (GRUR 2016, 1312 – Deutsche Parkinson Vereinigung/Zentrale), stehe einer Anwendung dieser Vorschriften auf in Deutschland ansässige Apotheken weder aus Gründen des Unionsrechts noch aus Gründen des Verfassungsrechts entgegen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgt.

Verfahren um Ein-Euro-Gutschein für weiteren Einkauf in Apotheke

Im Verfahren I ZR 60/18 betreibt der Beklagte in Berlin eine Apotheke. Er gewährte seinen Kunden im Jahr 2014 zeitweise eine Vergünstigung in Form eines Ein-Euro-Gutscheins. Die Kunden konnten den Gutschein bei einem weiteren Einkauf in der Apotheke des Beklagten einlösen. Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Sie hat den Beklagten auf Unterlassung in Anspruch genommen, Kunden, die ein Rezept für ein rezeptpflichtiges, preisgebundenes Arzneimittel einlösen, einen Einkaufsgutschein über einen Euro zu gewähren.

Berufungsgericht bejahte zwar Verstoß gegen Preisbindungsvorschriften

Das LG hatte der Klage stattgegeben (PharmR 2015, 414). Auf die Berufung des Beklagten hatte das Berufungsgericht die Klage abgewiesen (KG, PharmR 2018, 501). Die Gewährung eines Ein-Euro-Gutscheins durch den Beklagten bei Abgabe rezeptpflichtiger Arzneimittel an Verbraucher verstoße gegen die Preisbindungsvorschriften für Arzneimittel (§ 78 Abs. 2 Satz 2 und 3 AMG). Diese Preisbindungsvorschriften seien mit der Berufsausübungsfreiheit und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar. Der Umstand, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes auf in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ansässige Apotheken keine Anwendung fänden (GRUR 2016, 1312 – Deutsche Parkinson Vereinigung/Zentrale), stehe ihrer Anwendung auf den innerdeutschen Verkauf von Arzneimitteln nicht entgegen und führe nicht zu einer unzulässigen Benachteiligung in Deutschland ansässiger Apotheken.

Verstoß aber nicht wettbewerbswidrig

Der hier in Rede stehende Verstoß gegen die Preisbindungsvorschriften durch Zuwendung einer geringwertigen Kleinigkeit sei aber nicht wettbewerbswidrig. Er sei nicht geeignet, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen (§ 3a UWG). Dieser Beurteilung stehe nicht entgegen, dass nach der geltenden Fassung des HWG auch die Zuwendung geringwertiger Kleinigkeiten entgegen den arzneimittelrechtlichen Preisvorschriften unzulässig sei (§ 7 Abs. 1 Satz Nr. 1 HWG). Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat die Klägerin ihren Klageantrag weiterverfolgt.

BGH geht in beiden Fällen von Wettbewerbswidrigkeit aus

Der BGH hat im Verfahren I ZR 206/17 die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Die Revision der Klägerin im Verfahren I ZR 60/18 hatte dagegen Erfolg. Nach den Entscheidungen ist die Zugabe sowohl eines Brötchen-Gutscheins als auch eines Ein-Euro-Gutscheins beim Erwerb eines verschreibungspflichtigen Medikaments wettbewerbswidrig, weil beide Werbegaben gegen die geltenden Preisbindungsvorschriften verstoßen (§§ 3, 3a UWG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG, § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 Satz 1 AMG).

Ruinöser Preiswettbewerb zwischen Apotheken soll verhindert werden

Bei einer Werbung für Arzneimittel im Sinn des § 2 AMG dürften nach § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) nur angeboten, angekündigt oder gewährt werden, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 dieser Vorschrift ausdrücklich geregelten Ausnahmen vorliegt. Bei diesem grundsätzlichen Verbot der Wertreklame handele es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG. Ein Verstoß gegen dieses Verbot könne Unterlassungsansprüche begründen (§ 8 UWG). Die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG solle der abstrakten Gefahr begegnen, dass Verbraucher bei der Entscheidung, ob und gegebenenfalls welche Heilmittel sie in Anspruch nehmen, durch die Aussicht auf Werbegaben unsachlich beeinflusst werden. Soweit § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 HWG entgegen den Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes gewährte Werbegaben generell verbietet, solle damit außerdem ein ruinöser Preiswettbewerb zwischen den Apotheken verhindert und eine flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sichergestellt werden.

Regelungen über Warenverkehrsfreiheit auf innerstaatliche Sachverhalte nicht anwendbar

Das Urteil des EuGH in der Sache "Deutsche Parkinson Vereinigung/Zentrale" (GRUR 2016, 1312) stehe der Anwendung der in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG in Bezug genommenen Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes für in Deutschland ansässige Apotheken nicht entgegen. Nach dieser Entscheidung liege in den Regelungen über die Preisbindung für Apotheken, die in anderen Staaten der Europäischen Union ansässig sind, ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV). Auf innerstaatliche Sachverhalte ohne grenzüberschreitenden Bezug wie in den Streitfällen seien die Regelungen über die Warenverkehrsfreiheit allerdings nicht anwendbar.

Keine unzulässige Inländerdiskriminierung

Das Urteil des EuGH führt laut BGH auch nicht zu einer nach nationalem Verfassungsrecht unzulässigen Inländerdiskriminierung. Aus Art. 3 Abs. 1 GG folge nicht, dass eine Regelung für Inländer derjenigen für andere Unionsbürger entsprechen muss, solange die Ungleichbehandlung auf sachlichen Gründen beruht. Im Blick auf die Arzneimittelpreisbindung ergebe sich ein gewichtiger sachlicher Grund bereits aus der Tatsache, dass der nationale Gesetzgeber in seiner Gestaltungsfreiheit zwar hinsichtlich des grenzüberschreitenden Verkaufs von Arzneimitteln durch die im Primärrecht der Europäischen Union geregelte Warenverkehrsfreiheit und die dazu ergangene Rechtsprechung des EuGH eingeschränkt ist, für den Vertrieb von Arzneimitteln innerhalb Deutschlands aber keine entsprechende Einschränkung besteht. Eine unterschiedliche Behandlung von in Deutschland ansässigen Apotheken einerseits und in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ansässigen Apotheken andererseits sei zudem gerechtfertigt, weil sich die Arzneimittelpreisbindung im Hinblick auf die Besonderheiten des deutschen Marktes auf in Deutschland ansässige Apotheken weniger stark auswirke als auf in anderen Mitgliedstaaten ansässige Apotheken, die für einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt in besonderem Maße auf den Versandhandel angewiesen sind.

Keine Verletzung der Berufsausübungsfreiheit

Die Fortgeltung der arzneimittelrechtlichen Preisbindungsvorschriften verstoße für im Inland ansässige Apotheken auch nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Der mit den Bestimmungen des § 78 Abs. 1 und 2 AMG einhergehende Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit ist laut BGH mit Blick auf ihren Zweck der Sicherstellung einer im öffentlichen Interesse gebotenen flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln verhältnismäßig. Unter Berücksichtigung des weiten gesetzgeberischen Ermessens sei die Verhältnismäßigkeit der Preisvorschriften erst dann in Frage gestellt, wenn der Gesetzeszweck infolge des Umfangs des Verkaufs preisgebundener Arzneimittel durch ausländische Versandapotheken nicht mehr allgemein erreicht werden kann oder die gesetzliche Regelung für inländische Apotheken angesichts des Konkurrenzdrucks aus dem europäischen Ausland nicht mehr zumutbar ist. Dass dies derzeit der Fall ist, hätten die Berufungsgerichte nicht festgestellt.

Spürbare Beeinträchtigung trotz geringen Werts der Gutscheine

Der Verstoß gegen die Marktverhaltensregelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG sei schließlich im Sinne von § 3a UWG geeignet, die Interessen von Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen. Der Umstand, dass es sich sowohl bei einem Brötchen-Gutschein als auch bei einem Ein-Euro-Gutschein um Werbegaben von geringem Wert handelt, ändere daran nichts, betont der BGH. Der Gesetzgeber sei bei der mit Wirkung vom 13.08.2013 vorgenommenen Änderung des HWG davon ausgegangen, dass jede gesetzlich verbotene Abweichung vom Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel geeignet ist, einen unerwünschten Preiswettbewerb zwischen den Apotheken auszulösen. Die eindeutige gesetzliche Regelung, nach der jede Gewährung einer Zuwendung oder sonstigen Werbegabe im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG, die gegen die Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes verstößt, unzulässig ist, dürfe nicht dadurch unterlaufen werden, dass ein solcher Verstoß als nicht spürbar eingestuft und damit als nicht wettbewerbswidrig angesehen wird. Ein Abstellen auf die finanzielle Geringwertigkeit der Werbegabe sei ausgeschlossen, nachdem die Preisbindung nach dem Willen des Gesetzgebers strikt einzuhalten sei.

BGH, Urteil vom 06.06.2019 - I ZR 206/17

Redaktion beck-aktuell, 6. Juni 2019.