Erfahrungssatz: Allgemeiner Sprachgebrauch ist revisibel

Ist unter einer kompletten Dacherneuerung nach allgemeinem Sprachgebrauch stets nur die Erneuerung der äußeren Dachschicht zu verstehen? Der BGH beanstandete diese Auslegung des Berufungsgerichts. Die habe er überprüfen können, weil der allgemeine Sprachgebrauch als Erfahrungssatz revisibel sei.

Ein Paar hatte ein älteres Haus gekauft, der Kaufvertrag enthielt wie bei alten Häusern üblich einen Haftungsausschluss für Sachmängel. In dem Maklerexposé hatte gestanden, dass bei dem 1974 gebauten Haus 2009 "das Dach komplett erneuert" worden sei. Wie sich zeigte, waren nur die Bitumenbahnen erneuert worden. Das Paar monierte, dass das Dach den Stand von 1974 habe und nicht der Energiesparverordnung entspreche. Es verlangte von der Verkäuferin deshalb Schadensersatz – 20.337 Euro für die Dachrenovierung.

Nach anfänglichem Erfolg beim LG erlitt das Paar beim OLG einen Rückschlag, das die Klage auf Berufung der Verkäuferin abwies. Das OLG sah schon keinen Mangel gegeben. Es legte die Angabe im Exposé anhand des allgemeinem Sprachgebrauchs aus und kam zu dem Schluss, dass sie nur die Erneuerung der Bitumenbahnen bedeute und damit korrekt sei. Das Paar hätte das Exposé nur missverstanden.

Das hielt beim BGH nicht Stand (Urteil vom 06.12.2024 - V ZR 229/23). Der V. Zivilsenat beanstandet die Auslegung des OLG. Ob die Angabe im Exposé nach allgemeinem Sprachgebrauch bedeute, dass nur die Bitumenbahnen erneuert worden seien, könne auch vom Revisionsgericht überprüft werden. Denn der allgemeine Sprachgebrauch sei ein Erfahrungssatz – die beim "Gebrauch der deutschen Sprache allgemein bestehende Übung" – und damit revisibel.

Was ist ein Dach?

Die Überprüfung führte zur Zurückverweisung. Einen allgemeinen Sprachgebrauch, dass unter "Dach" immer nur die äußere Dachschicht zu verstehen sei, gebe es nicht, so der BGH. Er verweist auf den "Dach"-Eintrag im Duden, der ein Dach aber nur allgemein beschreibe und nicht zwischen verschiedenen Dachtypen differenziere – das habe das OLG, das auch in den Duden geschaut hatte, übersehen. Der BGH bemüht auch Wikipedia, dort werde aber nur die "Funktion eines Dachs im Allgemeinen beschrieben". Die EnEV gebe nur einen technischen Sprachgebrauch wieder, spreche aber auch eher gegen die Annahme des OLG.

Was mit einer kompletten Dacherneuerung gemeint sei, lässt sich laut BGH nicht allgemein bestimmen, sondern hänge vom Dachtyp und -aufbau ab. Werde wie hier das Jahr der Dacherneuerung angegeben, könnten dafür auch die energetischen Vorschriften bedeutsam sein, die dabei zu beachten waren. Für eine Haftung der Verkäuferin komme es darauf an, ob ein durchschnittlicher Käufer aufgrund des Exposés eine komplette Erneuerung des Dachs einschließlich Unterkonstruktion und Dämmung erwarten konnte. Der BGH könne die Angabe im Exposé nicht selbst auslegen, da unklar sei, welcher Art das Dach und wie es aufgebaut sei. Dazu müsse das OLG noch Feststellungen treffen. Für die weitere Prüfung gibt der BGH ihm noch eine Reihe Hinweise mit auf den Weg.

BGH, Urteil vom 06.12.2024 - V ZR 229/23

Redaktion beck-aktuell, hs, 6. Februar 2025.

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