BGH: Vorsteuerabzugsberechtigung eines Rechtsschutzversicherers

VVG § 126 I 2, II 1 und 2; VAG § 8a I; UStG §§ 4 Nr. 10a, 15; ZPO § 104 Abs. 2 Satz 3; BGB § 812 I 1

Das Schadenabwicklungsunternehmen eines Rechtsschutzversicherers im Sinn von § 126 VVG ist nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs nicht vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Weiter entschied das Gericht, dass der Kostenschuldner in einem gesonderten Verfahren einen Bereicherungsanspruch geltend machen kann, wenn im Kostenfestsetzungsverfahren aufgrund von § 104 Abs. 2 Satz 3 ZPO Umsatzsteuer zu Unrecht festgesetzt wurde.

BGH, Urteil vom 26.10.2016 - IV ZR 34/16 (LG Kleve), BeckRS 2016, 19194

Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 23/2016 vom 17.11.2016

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Sachverhalt

Die Klägerin begehrt von der Beklagten, die das Schadenabwicklungsunternehmen des Rechtsschutzversicherers der Klägerin ist, die Rückzahlung von Umsatzsteuer, die die Klägerin nach einem verlorenen Rechtsschutz-Deckungsprozess im Rahmen der Kostenerstattung – unter Vorbehalt – an die Beklagte geleistet hatte. Die Klägerin macht geltend, die Beklagte sei vorsteuerabzugsberechtigt, weshalb die Umsatzsteuer zu Unrecht festgesetzt und gezahlt worden sei. Die Klage blieb vor dem Amtsgericht und dem Landgericht erfolglos. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und gab der Klage statt.

Rechtliche Wertung

Der Klägerin stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Umsatzsteuerbeträge gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zu, so der BGH. Denn die Erstattung der Umsatzsteuer in den Kostenfestsetzungsbeschlüssen sei zu Unrecht zugunsten der Beklagten festgesetzt worden. Ein derartiger Rückforderungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung komme in Betracht, obwohl die Zahlung der Klägerin aufgrund rechtskräftiger Kostenfestsetzungsbeschlüsse erfolgte, da im Kostenfestsetzungsverfahren materiell-rechtliche Einwände gegen die Berechtigung zur Geltendmachung der Umsatzsteuer grundsätzlich nicht berücksichtigt werden.

Die Beklagte sei nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG vorsteuerabzugsberechtigt. Ein Ausschluss der Abzugsberechtigung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG für Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet habe, liege nicht vor, da keine Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr. 10a UStG bestehe. Danach seien Leistungen aufgrund eines Versicherungsverhältnisses im Sinn des Versicherungssteuergesetzes umsatzsteuerfrei. Ein solcher Fall liege hier nicht vor. Die Beklagte habe an die Klägerin keine Leistungen aufgrund eines Versicherungsvertragsverhältnisses erbracht. Die Beklagte sei kein Versicherungsunternehmen, sondern ein selbstständiges Schadenabwicklungsunternehmen im Sinn von § 126 VVG.

Ein solches sei gemäß § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG gesetzlicher Prozessstandschafter für den Rechtsschutzversicherer, erbringe aber selbst keine Leistungen an den Versicherungsnehmer aufgrund eines Versicherungsverhältnisses im Sinn von § 4 Nr. 10a UStG. Auch eine Erstreckung von § 4 Nr. 10a UStG komme nicht in Betracht, da Ausnahmevorschriften von der Umsatzsteuer eng auszulegen seien (EuGH, Urteil vom 03.03.2005 - C-472/03, DStR 2005, 467 - Arthur Andersen). Auch eine Organschaft der Beklagten für den Rechtsschutzversicherer im Sinn von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG liege nicht vor, weil die Beklagte gemäß § 8a VAG organisatorisch und personell vom Rechtsschutzversicherer getrennt sein müsse.

Da die Beklagte also nicht nach § 4 Nr. 10a UStG von der Umsatzsteuer befreit sei, sei ihre Vorsteuerabzugsberechtigung auch nicht nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ausgeschlossen. Daher sei die in den gegen die Klägerin erwirkten Kostenfestsetzungsbeschlüssen enthaltene Umsatzsteuer zu Unrecht festgesetzt worden und könne von der Klägerin nach Bereicherungsrecht zurückgefordert werden. Ob die Beklagte vom Vorsteuerabzug Gebrauch gemacht habe oder nicht, sei nicht entscheidungserheblich.

Praxishinweis

Das Urteil ist versicherungsrechtlich interessant im Hinblick auf die Feststellungen zur Abgrenzung zwischen Rechtsschutzversicherer und Schadenabwicklungsunternehmen. Kompositversicherer müssen zur Vermeidung von Interessenkollisionen die Leistungsbearbeitung in der Rechtsschutzversicherung nach § 8a VAG an ein rechtlich selbstständiges Schadenabwicklungsunternehmen übertragen. Bei Streitigkeiten ist dieses nach § 126 Abs. 2 VVG gesetzlicher Prozessstandschafter des Rechtsschutzversicherers und allein passivlegitimiert.

Darüber hinaus hält der BGH fest, wie bei Streitigkeiten über Vorsteuerabzugsberechtigung im Zusammenhang mit prozessualen Kostenerstattungsansprüchen vorzugehen ist. Da nach der ausdrücklichen Regelung in § 104 Abs. 2 Satz 3 ZPO im Kostenfestsetzungsverfahren nach allgemeiner Ansicht keine materiell-steuerrechtliche Prüfung erfolgt, sondern die Erklärung des Antragstellers genügt, dass er nicht vorsteuerabzugsberechtigt sei, muss sich eine durch unrichtige Erklärungen benachteiligte Partei hiergegen außerhalb des Kostenfestsetzungsverfahrens wehren. Der BGH stellt nun fest, dass insofern ein Bereicherungsanspruch besteht, der in einem gesonderten Verfahren geltend gemacht werden kann.

Redaktion beck-aktuell, 1. Dezember 2016.

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