Auch wenn der Hund hört: Leinen-Sturz durch Tiergefahr

Die spezifische Tiergefahr, die sich für eine Halterhaftung realisieren muss, ist ein absoluter Klassiker im juristischen Staatsexamen. Einer solchen Gefahr steht es nicht entgegen, wenn ein Hund auf Kommandos hört, sagt nun der BGH.

Manchmal ist man trotzdem der Böse, auch wenn man alles richtig gemacht hat. Diese leidvolle Erfahrung musste nun auch ein Hund machen, der brav auf das Kommando seines Herrchens - genauer: dessen Tochter - gehört hatte und dadurch eine Frau zu Fall brachte, die sich dabei verletzte. Dass das Tier hier wieder einmal seine für unberechenbare Lebewesen typische Gefahr gezeigt habe, fand nun der BGH und hob ein instanzgerichtliches Urteil auf, mit dem eine Tierhalterhaftung des Herrchens verneint worden war (Urteil vom 11.06.2024 - VI ZR 381/23). 

Die Tochter des ursprünglich Beklagten - der zwischenzeitlich verstorben war, weshalb im Prozess ein Nachlasspfleger auf seiner Seite stand - war mit dem Familienhund am frühen Abend auf einem Feldweg spazieren gewesen, wo sie auf eine andere Frau mit Hund traf. Einige Wühlmäuse auf der Wiese am Wegesrand weckten sodann offenbar den Jagdinstinkt der beiden Tiere, die sich auf das schnell ausgemachte Mäuseloch stürzten. Die Frau folgte den Hunden, um sie von ihrer Beute wegzuziehen, woraufhin die Tochter des Beklagten ihren Hund von der Stelle zurückpfiff. Der Hund - offenbar gut erzogen - folgte sogleich dem Kommando und eilte zurück. Leider schlang sich dabei die Schleppleine, die er während der ganzen Zeit hinter sich hergezogen hatte, um das Bein der anderen Frau, die daraufhin umgerissen wurde.

Instanzgerichte verneinten Halterhaftung

Das Ganze hatte für die Frau überaus schmerzhafte Folgen, sie brach sich das Schienbein. Ihre Krankenkasse wollte daraufhin die Behandlungskosten in Höhe von 11.639,36 Euro ersetzt haben und verklagte den Vater des Mädchens als Hundehalter. Die Anspruchsgrundlage für die sogenannte Tierhalterhaftung (§ 833 Satz 1 BGB) erfordert, so wissen es kundige Juristinnen und Juristen, dass sich die spezifische Tiergefahr im Schaden realisiert haben muss. Das bedeutet - in den Worten des VI. Karlsruher Zivilsenats - dass "ein der tierischen Natur entsprechendes unberechenbares und selbständiges Verhalten des betreffenden Tieres für den Eintritt der Rechtsgutsverletzung adäquat ursächlich geworden ist". Mit anderen Worten: Die verschuldensunabhängige Haftung beruht darauf, dass Tiere unberechenbar und gefährlich sind und Halterinnen und Halter im Zweifel für diese Gefahr einstehen müssen - auch, wenn sie sie konkret nicht verhindern konnten.

Nun sahen die Instanzgerichte eben diese Gefahr im vorliegenden Fall nicht realisiert, da der Hund schließlich gerade nicht unberechenbar gewesen sei, sondern vielmehr auf das Kommando der Tochter wie gewünscht reagiert habe. Zwar hätte man hier auch auf das vorherige Rennen zum Mäuseloch abstellen können, das sehr wohl dem tierischen Instinkt und nicht dem menschlichen Kommando entsprungen war, doch dafür fehlte es an der haftungsbegründenden Adäquanz. Schließlich sei es zum Schadensereignis nur durch eine Verkettung unglücklicher Umstände gekommen, so das OLG. Unmittelbare Folge des Jagdtriebs sei der Sturz der Frau daher nicht gewesen.

BGH: Ausführung des Kommandos nicht kontrolliert

Der BGH hob das Berufungsurteil nun allerdings auf, weil der Senat der Meinung war, dass sich hier - trotz des befolgten Kommandos - die spezifische Tiergefahr realisiert habe. Zwar konzedierte der Senat, dass es regelmäßig an der Verwirklichung der Tiergefahr fehle, wenn das Tier lediglich der Leitung und dem Willen eines Menschen folge. Davon könne jedoch nicht ausgegangen werden, wenn ein Tier auf die menschliche Steuerung anders als beabsichtigt reagiere.  Der BGH berief sich in seinem Urteil auf Stimmen in der Literatur, nach denen auch bei Leitung durch einen Menschen die Tiergefahr verwirklicht sein könne, wenn das Tier durch eigene Kraftentfaltung zum Schaden beigetragen habe. Darüber hinaus sei es laut diesen Stimmen, zitiert der Senat, "nicht einsichtig, warum durch die Lenkung eines Tieres dessen Gefahr, die auch in der besonderen Energie des Tieres liege, beseitigt werden solle".

Der Senat stieg dann noch - jedenfalls für Juristinnen und Juristen - tief in naturphilosophische Gefilde hinab: "Geht man davon aus, dass der Halter den lebenden Organismus, dem er seine Umgebung aussetzt, gerade wegen der Lebendigkeit oftmals nicht vollständig kontrollieren kann, ergibt sich, dass die Leitung des Tieres durch den Menschen spezifische Tiergefahren nicht zwangsläufig ausschließt", heißt es im Urteil. Der Hund sei, anders als die vorigen Instanzen es gesehen hatten, auch nicht lediglich der Leitung der Tochter des Beklagten gefolgt, das Loslaufen und Umreißen der Frau sei schließlich eigenständig passiert. Laufrichtung, Geschwindigkeit, Kraftentfaltung und Energieeinsatz des Hundes seien ihm selbst entsprungen. Schließlich warf man dem Hund auch vor, seine tierische Gefahr darin gezeigt zu haben, dass er die Gefahr der Schleppleine nicht erkannt habe.

Somit muss das Berufungsgericht nun neu über die Sache entscheiden. Ob der Hund sein Verhalten inzwischen bedauert, ist indes nicht überliefert.

BGH, Urteil vom 11.06.2024 - VI ZR 381/23

Redaktion beck-aktuell, Maximilian Amos, 19. September 2024.