Eingeklemmt in der Waschstraße: Verdienstausfall trotz falscher Krankschreibung?
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Ein Unfallgeschädigter kann auch dann einen Anspruch auf Verdienstausfall haben, wenn sich die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Nachhinein als falsch erweist. Laut BGH kommt es darauf an, ob er im Einzelfall auf den "gelben Schein" vertrauen durfte.

Bei einem Waschstraßenbesuch kam es zum Unfall: Ein Mitarbeiter der Waschstraße wurde vom Auto einer Kundin erfasst und eingeklemmt, wobei er eine tiefe, klaffende Riss- und Quetschwunde am linken Unterschenkel erlitt, die einen zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt erforderte. Ein Facharzt bescheinigte ihm deswegen eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit. Diese datierte er fehlerhaft vom 8. Mai 2019 – dem Tag des Unfalls – bis voraussichtlich zum 14. September 2020. Ob der Mediziner eine Krankschreibung über mehr als ein Jahr tatsächlich beabsichtigt oder schlicht die falsche Jahreszahl eingetragen hatte, ist aus den Urteilsgründen des BGH nicht ersichtlich. Der Mitarbeiter, der laut späteren gerichtlichen Feststellungen bereits im September 2019 wieder arbeitsfähig war, nahm es gleichwohl so hin.

Nachdem die Schäden in der Zwischenzeit zum Teil durch den Haftpflichtversicherer der zweifellos am Unfall schuldigen Waschstraßenkundin reguliert worden waren, stritt man sich vor Gericht schließlich um den Schadensersatzanspruch wegen Verdienstausfalls, welchen der Mitarbeiter noch forderte. Er beanspruchte für die volle Zeit seiner Krankschreibung die Differenz zwischen seinem monatlichen Gehalt und dem Krankengeld, somit bis zum 14. September 2020. Insgesamt ging es dabei um eine Summe von rund 2.300 Euro. Der Mitarbeiter beharrte darauf, dass er sich auf die Krankschreibung habe verlassen dürfen. Das LG verurteilte die Kundin indes nur zum Ersatz des Verdienstausfalls für den Zeitraum nach Ende der Lohnfortzahlung bis zum 5. September 2019 (zweieinhalb Monate) und wies die Klage im Übrigen ab. Das OLG hielt diese Entscheidung: Es komme auf die tatsächliche Arbeitsfähigkeit des Mitarbeiters an, die ab dem 06. September wieder bestanden habe.

Der BGH revidierte die Entscheidungen indes und verwies sie zur neuerlichen Verhandlung zurück. Laut dem VI. Zivilsenat kommt ein Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls nämlich nicht nur dann in Betracht, wenn die geschädigte Person tatsächlich arbeitsunfähig ist, sondern auch dann, wenn sie berechtigterweise auf eine entsprechende Krankschreibung vertrauen durfte (Urteil vom 08.10.2024 – VI ZR 250/22).

Berechtigtes Vertrauen in die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?

Geschädigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seien bei der Entscheidung, ob sie nach einer erlittenen Verletzung wieder arbeiten gehen oder hiervon im Interesse ihrer Gesundheit absehen, oftmals auf die Einschätzung des behandelnden Arztes bzw. der Ärztin angewiesen und dürften sich daher prinzipiell auf diese verlassen, so die Karlsruher Richterinnen und Richter.

Die Gefahr einer "nahezu uferlosen Ausdehnung von Schadensersatzpflichten" sieht der BGH – entgegen der Auffassung des LG – nicht. Er verweist dazu auf die Darlegungs- und Beweislast von Geschädigten, an die nicht zu geringe Anforderungen zu stellen seien. So müsse das ärztliche Verfahren zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit etwa so gestaltet sein, dass Geschädigte zu Recht annehmen dürften, dass die Feststellung inhaltlich zutreffend sei und auch einer späteren Überprüfung standhalten würde.

Feststellungen dazu, ob der Waschstraßen-Mitarbeiter hier berechtigterweise auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vertrauen durfte, hatten die Instanzgerichte jedoch nicht getroffen, weshalb dies nun nachgeholt werden muss.

BGH, Urteil vom 08.10.2024 - VI ZR 250/22

Redaktion beck-aktuell, ns/mam, 29. Oktober 2024.