In dem Verfahren hatte ein Bauunternehmen, das Nordsee-Windparks an das Stromnetz auf dem Festland anschließen sollte, seine Subunternehmerin auf Schadensersatz wegen angeblicher Schmiergeldzahlungen an den Bau- und Projektleiter verklagt. Die Firma verlor beim LG und auch das OLG kündigte an, die Berufung nach § 522 ZPO zurückweisen zu wollen. Die Stellungnahme des Unternehmens dazu ging zwar am letzten Tag der gesetzten Frist ein, dem 05. Mai 2022. Allerdings mit dem Az. "99 U 25/22" statt "9 U 25/22". Somit dauerte es, bis das Dokument der richtigen Akte zugeordnet wurde. Direkt nach Ablauf der Frist, am 06. Mai 2022, hatte das OLG allerdings schon die Berufung verworfen. Die Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH hatte Erfolg.
Der VI. Zivilsenat des BGH sah die Frist als gewahrt an (Beschluss vom 12.03.2024 – VI ZR 166/22). Aus Sicht der Karlsruher Richterinnen und Richter war die Annahme des OLG, die Firma habe sich innerhalb der Frist nicht zum Hinweis geäußert, ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
Schriftsatz war eindeutig zuzuordnen
"Im Hinblick auf eine einzuhaltende Frist ist für den Eingang des Schriftsatzes (am 05.05.2022) und daher für die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch das Gericht allein entscheidend, ob der Schriftsatz vor Ablauf der Frist an das zur Entscheidung berufende Gericht gelangt ist," so der BGH. Dies sei hier der Fall gewesen. Unerheblich sei dagegen, ob der Schriftsatz durch das falsche Aktenzeichen nicht direkt in die für die Sache bereits angelegte Akte eingeordnet worden konnte.
Die ZPO (§§ 129 Abs. 1, 130 ZPO) schreibe schon keine Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens vor: "Die Angabe eines Aktenzeichens soll die Weiterleitung innerhalb des Gerichts erleichtern und für eine rasche Bearbeitung sorgen. Es handelt sich um eine Ordnungsmaßnahme, die für die Sachentscheidung ohne Bedeutung ist", betont der VI. Zivilsenat. Auch ohne Angabe eines Aktenzeichens habe man aus dem Schriftsatz zweifelsfrei erkennen können, zu welchem Verfahren er eingereicht werden sollte: Die Parteien des Rechtsstreits seien in der Stellungnahme der Firma korrekt angegeben worden und zudem sei auf den Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts vom 30.3.2022 Bezug genommen worden.