BGH verweist Streit um angebliche Beihilfen für Ryanair am Flughafen Lübeck erneut zurück

Im Streit um angebliche Beihilfen für die Billigfluggesellschaft Ryanair am Flughafen Lübeck hat der Bundesgerichtshof die Sache aus prozessualen Gründen an das Landgericht Kiel zurückverwiesen. Er weist allerdings daraufhin hin, dass die Europäische Kommission inzwischen entschieden habe, dass eine mit Ryanair abgeschlossene Vereinbarung über Flughafengebühren und Marketing keine Beihilfe sei. Die Bedeutung der Entscheidung sei aber noch unklar, da bislang nur eine Presseerklärung vorliege (Urteil vom 09.02.2017, Az.: I ZR 91/15).

Air Berlin fordert Auskunft über Vergünstigungen für Ryanair

Die Klägerin, die Fluggesellschaft Air Berlin, macht geltend, die beklagte Hansestadt Lübeck habe Ryanair günstige Bedingungen für die Nutzung des Flughafens Lübeck-Blankensee gewährt, bei denen es sich um unionsrechtswidrige Beihilfen handele. Zur Vorbereitung eines Anspruchs auf Rückforderung verlangt die Klägerin von der Beklagten Auskunft über die Ryanair gewährten Vergünstigungen. Das Landgericht (BeckRS 2006, 09423) gab der Auskunftsklage statt.

EU-Kommission eröffnete Prüfverfahren

Nach Verkündung dieses Urteils eröffnete die Europäische Kommission im Juli 2007 ein förmliches Prüfverfahren zu möglichen staatlichen Beihilfen zugunsten der Flughafen Lübeck GmbH und Ryanair. Danach stellen die Ryanair gewährten Konditionen nach vorläufiger Einschätzung der Kommission staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 108 Abs. 3 AEUV dar.

BGH verwies Sache an OLG zurück - OLG rief EuGH an

Das Oberlandesgericht (BeckRS 2009, 01231) wies die Auskunftsklage ab, weil keine rechtliche Grundlage für Ansprüche der Klägerin bestehe. Der BGH (BeckRS 2011, 05517) hob dieses erste Berufungsurteil mit der Begründung auf, ein Verstoß gegen das beihilferechtliche Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV könne einen Schadensersatzanspruch der Klägerin begründen. Er hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen. Das OLG rief dann den Europäischen Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren an.

EuGH: Nach Eröffnungsbeschluss Konsequenzen aus möglichem Verstoß gegen Durchführungsverbot zu ziehen

Der EuGH (BeckRS 2014, 80724) führte aus, nach einem Eröffnungsbeschluss der Kommission sei ein mit einem Antrag auf Unterlassung der Durchführung einer Maßnahme und auf Rückforderung bereits geleisteter Zahlungen befasstes nationales Gericht verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Konsequenzen aus einem möglichen Verstoß gegen das Durchführungsverbot zu ziehen. Zu diesem Zweck könne es beschließen, die Rückforderung bereits gezahlter Beträge anzuordnen.

OLG sah sich an vorläufige Einschätzung der Kommission gebunden

Das OLG (BeckRS 2015, 09177) wies daraufhin die Berufung der Beklagten zurück. Es sah sich an die vorläufige Einschätzung der Kommission gebunden, die Ryanair gewährten Konditionen für die Nutzung des Flughafens Lübeck-Blankensee stellten unzulässige staatliche Beihilfen dar. Dagegen legte Ryanair Revision ein.

BGH verweist Sache an LG zurück

Der BGH hat auch das zweite Berufungsurteil aufgehoben. Danach hatte die Revision bereits aus prozessualen Gründen Erfolg, weil das LG im Hinblick auf einen weiterhin in erster Instanz anhängigen Unterlassungsantrag der Klägerin ein unzulässiges Teilurteil verkündet und das Oberlandesgericht diesen Mangel nicht behoben hatte. Der BGH hat die Sache deshalb an das LG zurückverwiesen.

Auswirkung zwischenzeitlich ergangener Kommissionsentscheidung unklar

Nach der Revisionsverhandlung entschied die EU-Kommission laut einer Pressemitteilung am 07.02.2017, dass die im Jahr 2000 zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten und Ryanair abgeschlossene Vereinbarung über Flughafengebühren und Marketing keine Beihilfe ist. Laut BGH lässt sich die Bedeutung der Entscheidung, zu der bislang nur die Presseerklärung vorliege, für den vorliegenden Rechtsstreit derzeit nicht abschließend beurteilen. Sollte sich erweisen, dass keine der von der Klägerin beanstandeten Maßnahmen eine Beihilfe darstellt, läge kein Verstoß gegen das Unionsrecht vor.

Keine absolute Bindung an vorläufige Beurteilung der Kommission im Eröffnungsbeschluss

Für das neue Verfahren weist der BGH darauf hin, dass die nationalen Gerichte zwar grundsätzlich nicht von der vorläufigen Beurteilung der Kommission im Eröffnungsbeschluss abweichen dürften, eine bestimmte Maßnahme stelle eine Beihilfe dar. Eine absolute und unbedingte Verpflichtung des nationalen Gerichts, dieser vorläufigen Beurteilung ohne Weiteres zu folgen, bestehe aber nicht. Habe das nationale Gericht Zweifel, könne es eine Anfrage an die Kommission richten oder den EuGH um eine Vorabentscheidung ersuchen. Insbesondere könnten vor dem nationalen Gericht vorgetragene Umstände, die nicht erkennbar im Eröffnungsbeschluss berücksichtigt worden seien, Anlass geben, die Kommission um eine Stellungnahme zu bitten, ob sie eine gegenüber dem Eröffnungsbeschluss abweichende beihilferechtliche Beurteilung erlauben. Halte die Kommission weiter an ihrer Auffassung fest, überzeugten die dafür angeführten Gründe das Gericht jedoch nicht, so habe es den EuGH um eine Vorabentscheidung zu ersuchen.

Rückforderungsanspruch auch im Bindungsfall nicht zwingend gegeben

Müsse das Gericht danach bis zu einer endgültigen Entscheidung durch die Kommission vorläufig von der Beihilfequalität der beanstandeten Maßnahmen ausgehen, folge daraus allein noch nicht, dass der Auskunfts- und Rückforderungsanspruch besteht, so der BGH weiter. Vielmehr habe das Gericht darüber unter Beachtung des Gebots, dem Eröffnungsbeschluss der Kommission praktische Wirksamkeit zu verschaffen, aber auch unter Wahrung der Interessen der beteiligten Parteien und gegebenenfalls unter Berücksichtigung außergewöhnlicher Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Insbesondere sei das Verhältnismäßigkeitsgebot zu beachten. Unverhältnismäßig könne die Rückforderung aufgrund einer vorläufigen Einschätzung der Kommission etwa sein, wenn die Beihilfe mit hoher Wahrscheinlichkeit für mit dem Binnenmarkt vereinbar zu erklären ist, und die Rückforderung die Existenz des davon betroffenen Unternehmens ernsthaft bedroht.

Fortbestehende wettbewerbsverzerrende Wirkung der Vorteile zweifelhaft

Im Streitfall ist laut BGH zu berücksichtigen, dass die Kommission das Hauptprüfverfahren im Juli 2007 eröffnet und jedenfalls bis zur mündlichen Revisionsverhandlung nicht abgeschlossen habe. Sie habe sich auf Frage des OLG noch im März 2012 nicht in der Lage gesehen, Angaben zur voraussichtlichen weiteren Dauer des Hauptprüfverfahrens zu machen. Zwischenzeitlich betreibe die Beklagte keinen Flughafen mehr und Ryanair habe den Flugverkehr zum Flughafen Lübeck eingestellt. Eine noch bestehende wettbewerbsverzerrende Wirkung durch in den Jahren 2000 bis 2004 an die Streithelferin für Flugverbindungen zum Flughafen Lübeck gezahlte Beihilfen erscheine danach fraglich.

BGH, Urteil vom 09.02.2017 - I ZR 91/15

Redaktion beck-aktuell, 9. Februar 2017.

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