Verstoß englischen Erbrechts gegen deutschen ordre public
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Die Anwendung des gewählten englischen Erbrechts kann mit Blick auf das in Deutschland verankerte Pflichtteilsrecht einen Verstoß gegen den deutschen ordre public darstellen. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ist dies jedenfalls dann so, wenn einem Kind trotz hinreichenden Inlandsbezugs des Erbfalls kein bedarfsunabhängiger Pflichtteil zusteht.

Lebensmittelpunkt Deutschland

Der adoptierte Sohn eines verstorbenen Briten hatte von der testamentarischen Erbin Auskünfte über den Wert des Nachlasses gefordert. Der Erblasser war 1936 in England geboren worden und lebte seit seinem 29. Lebensjahr in Deutschland, wo er auch verstarb. Seinen Sohn hatte er mit Vertrag vom Oktober 1975 adoptiert, als das Kind etwas über ein Jahr alt war. In seinem Testament aus dem März 2015 setzte er allerdings eine gemeinnützige GmbH zur Alleinerbin ein. Der Nachlass bestand im Wesentlichen aus einer Immobilie in Deutschland und einem Oldtimer. Vor dem Hintergrund seiner britischen Staatsangehörigkeit wählte er das englische Recht als Recht seines Heimatstaats. Das LG Köln wies die Auskunftsklage ab, da das englische Recht kein Pflichtteilsrecht kenne – damit fehle es an einer Grundlage für Auskunftsansprüche. Die Kollegen vor Ort beim OLG sprachen einen solchen allerdings zu, da die Anwendung des englischen Rechts insoweit einen Verstoß gegen den deutschen ordre public darstellen würde. Der Bundesgerichtshof bestätigte dies.

Mindestbeteiligung an Elternvermögen

Der IV. Zivilsenat berief sich hierfür auf die Grundsatzentscheidung des BVerfG vom 19.04.2005 (NJW 2005, 1561). Demnach verlange die Erbrechtsgarantie von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG eine grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige Mindestbeteiligung von Kindern am Nachlass ihrer Eltern. In dieser Ausprägung seien Nachkommen nach englischer Rechtslage nicht abgesichert, so dass nach Art. 35 EuErbVO ein offensichtlicher Verstoß gegen den ordre public vorliege. Nach Prüfung des Senats kommen in England mögliche Ansprüche des Kindes, so ein Unterhaltsanspruch gegen den Nachlass bei Fehlen ausreichender finanzieller Vorsorge, dem nicht gleich, bzw. scheiterten teils schon daran, dass der Verstorbene sein "domicile" zum Todeszeitpunkt nicht in England oder Wales gehabt habe. Dieser jahrzehntelange Lebensmittelpunkt in Deutschland begründe auch den notwendigen Inlandsbezug des Falls.

Vorlagebeschluss erforderlich?

Der teilweise nach dem Berufungsurteil aufgeworfenen Frage, ob nicht eine Vorlage an den EuGH veranlasst gewesen wäre (so Lehmann ZEV 2021, 701 (702)), erteilte das Gericht eine Absage: Die Unvereinbarkeit einer ausländischen Norm mit einer nationalen Rechtsordnung könnten nur die nationalen Gerichte mit Blick auf ihre eigenen Gesetze beantworten.

BGH, Urteil vom 29.06.2022 - IV ZR 110/21

Michael Dollmann, Mitglied der NJW-Redaktion, 22. Juli 2022.