Ver­si­che­rungs­schutz gegen Ele­men­tar­schä­den auch bei "Kriech­vor­gän­gen"

Der in einer Ver­si­che­rungs­klau­sel de­fi­nier­te Be­griff "Erd­rutsch" er­fasst auch Schä­den, die durch all­mäh­li­che Be­we­gun­gen von Ge­steins- oder Erd­mas­sen ver­ur­sacht wer­den. Laut Bun­des­ge­richts­hof spricht der all­täg­li­che Sprach­ge­brauch dafür, dass auch so ge­nann­te "Kriech­vor­gän­ge" ver­si­chert sind, bei denen sich Bo­den­be­stand­tei­le über einen län­ger an­dau­ern­den Zeit­raum stück­chen­wei­se ver­la­gern.

Risse an Wohn­haus und Ter­ras­se durch "Erd­krie­chen" am Hang

Ein Ver­si­che­rungs­neh­mer mach­te gegen seine As­se­ku­ranz An­sprü­che aus einer Wohn­ge­bäu­de­ver­si­che­rung für Riss­schä­den an Haus und Ter­ras­se in Höhe von 100.000 Euro gel­tend (20.000 Euro als Vor­schuss für die In­stand­set­zung und Ma­ler­ar­bei­ten). Der Ver­si­che­rungs­schutz er­streck­te sich auf Schä­den durch Erd­rutsch. Die Klau­sel WGB F 01/08 in K.7 sah fol­gen­de Re­ge­lung vor: "Erd­rutsch ist ein na­tur­be­ding­tes Ab­glei­ten oder Ab­stür­zen von Ge­steins- oder Erd­mas­sen." Das ver­si­cher­te Grund­stück lag am vor­de­ren Rand einer vor etwa 80 Jah­ren am Hang auf­ge­schüt­te­ten Ter­ras­se. 2018 mel­de­te der Ge­schä­dig­te die Schä­den an. Nach sei­ner An­sicht waren sie durch einen Erd­rutsch ent­stan­den, ver­ur­sacht durch ge­ring­fü­gi­ge nicht au­gen­schein­li­che Rut­schun­gen des Un­ter­grunds. Eine Über­nah­me der Be­sei­ti­gungs­kos­ten lehn­te der Ver­si­che­rer ab.

OLG setzt ge­wis­se sinn­lich wahr­nehm­ba­re Dy­na­mik vor­aus

Die Klage schei­ter­te so­wohl beim LG Bam­berg als auch beim dor­ti­gen OLG. Es fehle be­reits an einem die Leis­tungs­pflicht aus­lö­sen­den Erd­rutsch. Der durch­schnitt­li­che Ver­si­che­rungs­neh­mer werde dar­un­ter keine sich lang­sam über Jahre hin­weg voll­zie­hen­de Erd­be­we­gun­gen ver­ste­hen. Diese seien mit dem all­ge­mei­nen Wort­sinn der für die De­fi­ni­ti­on her­an­ge­zo­ge­nen Be­grif­fe des "Ab­glei­tens" und "Ab­stür­zens" nicht in Ein­klang zu brin­gen. Viel­mehr han­de­le es sich um Vor­gän­ge mit einer ge­wis­sen Dy­na­mik. Die Re­vi­si­on des Klä­gers beim BGH hatte hin­ge­gen Er­folg und führ­te zur Zu­rück­ver­wei­sung.

All­täg­li­cher Sprach­ge­brauch ist ent­schei­dend

Dem IV. Zi­vil­se­nat zu­fol­ge um­fasst der Be­griff "Erd­rutsch" im Sinne der Be­stim­mung in K.7 der Klau­seln auch Schä­den an ver­si­cher­ten Wohn­ge­bäu­den, wenn sich Bo­den­be­stand­tei­le über einen län­ger an­dau­ern­den Zeit­raum nur all­mäh­lich ver­la­gern. Dies er­ge­be sich aus der Aus­le­gung der Klau­sel. Deren An­wen­dung sei - ent­ge­gen der An­sicht des OLG - nicht auf plötz­li­che und sinn­lich wahr­nehm­ba­re geo­lo­gi­sche Vor­gän­ge be­schränkt. Dabei sei für einen durch­schnitt­li­chen Ver­si­che­rungs­neh­mer der Sprach­ge­brauch des täg­li­chen Le­bens ma­ß­ge­bend. Aus dem Um­stand, dass die Klau­sel das Ab­glei­ten (oder Ab­stür­zen) "von Ge­steins- oder Erd­mas­sen" ver­lan­ge, werde er dies nicht als Hin­weis dar­auf ver­ste­hen, dass "Kriech­vor­gän­ge" vom Ver­si­che­rungs­schutz aus­ge­nom­men seien. Rechts­feh­ler­haft habe das OLG an die in der Geo­lo­gie ge­bräuch­li­che ter­mi­no­lo­gi­sche Un­ter­schei­dung von "Erd­krie­chen" und "Erd­rutsch" an­ge­knüpft. Diese fach­li­che Ein­or­dung fin­det sich dem BGH zu­fol­ge aber nicht in den Be­din­gun­gen wie­der. Das OLG müsse nun­mehr mit sach­ver­stän­di­ger Hilfe klä­ren, ob die Be­haup­tung des Haus­ei­gen­tü­mers zur Ur­sa­che der Riss­bil­dun­gen zu­tref­fe.

BGH, Urteil vom 09.11.2022 - IV ZR 62/22

Redaktion beck-aktuell, 5. Dezember 2022.

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