Verschulden im Wiedereinsetzungsverfahren

Wer einen Rechtsanwalt beauftragt, hat wegen fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung bei Verfristung grundsätzlich keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil ihm die Kenntnisnahme des Anwalts zuzurechnen ist. Anders verhält es sich laut Bundesgerichtshof, wenn der Anwalt in einer anderen Sache mandatiert ist. Hier habe der Anwalt im Rahmen eines Sozialversicherungsmandats Kenntnis über den streitgegenständlichen Versorgungsausgleichsbeschluss erlangt.

Abänderung eines Versorgungsausgleichs ohne Betroffenen

Der Versorgungsausgleich nach einer 25 Jahre währende Ehe sah vor, dass der Frau von der Betriebsrente ihres geschiedenen Gatten noch rund 250 Euro monatlich zugebilligt wurde. Nach ihrer Scheidung im Jahr 2007 heiratete sie 2011 erneut. Sieben Jahre später starb sie und der Hinterbliebene bezog eine sogenannte große Witwenrente auf der Grundlage des Versorgungsausgleichs. Kurz nach ihrem Tod beantragte ihr Ex-Ehemann, den Versorgungsausgleich rückgängig zu machen. Ohne den Witwer zu beteiligen, beschloss das Familiengericht Bonn 2019, dass kein Versorgungsausgleich stattfinde. Der Rechtsbehelfsbelehrung fehlte die Angabe des Fristbeginns. Dem Witwer wurde der Beschluss auch nicht zugestellt. Er wunderte sich erst zehn Monate später, als ihm die Rentenkasse die Rente kürzte und die Rückzahlung überzahlter Beträge verlangte. Er beauftragte einen Anwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen gegenüber der Rentenversicherung. Dieser nahm Akteneinsicht und erhielt im Mai 2020 Kenntnis von dem Beschluss des Familiengerichts. Im August beauftragte der Witwer seinen Anwalt mit der Einlegung der Beschwerde gegen den familiengerichtlichen Beschluss. Das OLG Köln wies die Beschwerde als unzulässig zurück, vor dem BGH war der Hinterbliebene dann doch vorläufig erfolgreich.

Kein Fristbeginn ohne Kenntnisnahme

Entgegen dem OLG war die Beschwerde zulässig. Ohne die Bekanntgabe an den Witwer habe die Rechtsmittelfrist nicht zu laufen beginnen können. Auch § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG, wonach die Frist in Fällen, in denen eine schriftliche Bekanntgabe an einen Beteiligten nicht bewirkt werden kann, fünf Monate nach Erlass des Beschlusses gilt, ist nach Ansicht des BGH hier nicht anzuwenden. Voraussetzung für den Fristbeginn müsse in jedem Fall eine Kenntnisnahme vom Beschluss sein. Welche Frist – die einmonatige oder die fünfmonatige – sei noch nicht höchstrichterlich entschieden worden. Aber auch in diesem Fall hält der BGH diese Frage nicht für relevant, da dem Witwer in jedem Fall hätte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden müssen. Die OLG-Entscheidung wurde deshalb aufgehoben und zur Entscheidung zurückverwiesen.

Kein Verschulden des Witwers gegeben

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nach § 17 Abs. 1 FamFG in Betracht, wenn die Partei ohne Verschulden verhindert gewesen sei, die Rechtsmittelfrist zu versäumen. Ein Verschulden werde nach § 17 Abs. 2 FamFG vermutet, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft ist. Der BGH erkannte einen Fehler nach § 39 Satz 1 FamFG, wonach sich der konkrete Fristbeginn – Datum der Bekanntgabe an den Adressaten – nicht erschloss. Auch die Kenntnisnahme des Anwalts durch die Akteneinsicht gelte in diesem Fall nicht als Fristbeginn, so der BGH. Dessen Auftrag habe der Vertretung gegenüber der Rentenkasse gegolten, nicht der Wahrnehmung von Interessen im familiengerichtlichen Verfahren. Erst im August 2020 sei der entsprechende Auftrag erteilt worden. Die Zurechnung nach § 17 Abs. 2 FamFG kann laut dem XII. Zivilsenat aber nur erfolgen, wenn ein konkret darauf bezogenes Mandatsverhältnis besteht.

BGH, Beschluss vom 01.03.2023 - XII ZB 18/22

Redaktion beck-aktuell, 11. Mai 2023.