Verrat von Dienstgeheimnissen durch Polizisten kein "Whistleblowing"

Nach Ansicht des BGH ist ein Polizist, der einem Journalisten mehrfach Dienstgeheimnisse ausgeplaudert hat, zu milde bestraft worden. Das LG Lübeck sah "das Ansehen der Landespolizei und das Vertrauen der Öffentlichkeit in eine sachgerechte Amtsführung" nicht erschüttert. Nun muss es den Fall komplett neu aufrollen.

"Whist­le­blower" wer­den mitt­ler­wei­le durch das Hin­weis­ge­ber­schutz­ge­setz ge­schützt. Dass dies auch auf einen Po­li­zis­ten zu­trifft, der Dienst­ge­heim­nis­se an einen Jour­na­lis­ten ver­ra­ten hat, hat der BGH nun bestritten.

Die Motive des Staatsdieners waren offenbar vielschichtig: Das Ex-Mitglied des Vorstands der Deutschen Polizeigewerkschaft hatte einem befreundeten Reporter Informationen über Ermittlungsverfahren und behördeninterne Vorgänge verraten. Der weitgehend geständige Beamte habe insbesondere die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft kritisieren und dem öffentlichen Ansehen missliebiger Personen innerhalb der Behördenführung schaden wollen, hatte er geltend gemacht. Das LG Lübeck verurteilte ihn daraufhin wegen sieben Verletzungen von Dienstgeheimnissen, darunter in Tateinheit mit Verletzungen von Privatgeheimnissen mit Schädigungsabsicht (in einem Fall zudem mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen), sowie wegen unerlaubten Verarbeitens personenbezogener Daten zu einer Geldstrafe von 330 Tagessätzen zu je 40 Euro. So ging es um die Weitergabe eines Fotos von Gesichtsverletzungen einer Frau nach einer versuchten Vergewaltigung. Dreimal kam es hingegen nach Einschätzung der Strafkammer in der Ostsee-Stadt durch die Informationsweitergabe nicht zu der für eine Verurteilung wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses (§ 353b Abs. 1 StGB) erforderlichen Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen. In einem weiteren Fall habe der Mann die durchgestochenen Informationen nicht im Dienst erlangt.

CDU-Minister musste zurücktreten

Laut Berichten von Lokalmedien wie den "Kieler Nachrichten" und des News-Portals TAG24 hatte das Verfahren ein beträchtliches Ausmaß, die sie in pikanten Details schilderten: Bei einer Durchsuchung hatte die Staatsanwaltschaft das Mobiltelefon des Polizisten sichergestellt. Darauf hätten die Ermittler umfangreiche WhatsApp-Protokolle und Mail-Verkehr gefunden. Der Ordnungshüter soll ein Foto sowie Details zu einem Polizeieinsatz im Lübecker Gefängnis, ferner Daten zu Straftaten in der Gemeinde Boostedt weitergegeben haben, wo sich eine Landesunterkunft für Migranten befindet. Auch soll er Angaben zu einem von der Polizei als gefährlich eingestuften Gefangenen durchgestochen haben, dessen Entlassung bevorstand. Ihn habe ein "fehlgeleiteter Whistleblower-Gedanke" angetrieben, sagte der Angeklagte nach seiner Verurteilung. Die Auswertung dieser Chats spielte demzufolge eine entscheidende Rolle beim Rücktritt des schleswig-holsteinischen Innenministers Hans-Joachim Grote (CDU).

Das alles war dem 5. Strafsenat zu milde: Er gab der Revision der Staatsanwaltschaft ganz überwiegend statt (Urteil vom 15.02.2024 – 5 StR 283/23). Als rechtsfehlerhaft betrachteten die Leipziger Bundesrichter vor allem die Annahme des LG, durch die Informationsweitergabe in fünf Fällen sei es nicht zu der für eine Verurteilung wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses erforderlichen Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen gekommen. Die Lübecker Strafkammer hatte den Ermittler in drei Fällen freigesprochen und in zwei Fällen nur wegen anderer, weniger schwerwiegender Delikte verurteilt. Deren Begründung: Die Informationsweitergabe habe in diesen Fällen keine konkreten Maßnahmen oder Verfahren der Fahnder beeinträchtigt. Doch diese Einstufung wichtiger öffentlicher Interessen ging dem Urteil der obersten Strafrichter zufolge von einem falschen Maßstab aus. Die Lübecker Kammer habe angenommen, die bloße abstrakte Eignung eines Geheimnisbruchs, das Ansehen der Landespolizei und das Vertrauen der Öffentlichkeit in eine sachgerechte Amtsführung zu erschüttern, reiche für die Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen nicht aus. "Dabei hat sie aber weder die herausgehobene dienstliche Stellung des Angeklagten noch den fortgesetzten Geheimnisverrat im Rahmen einer auf Dauer angelegten Zweckbeziehung zu einem Journalisten berücksichtigt", so der Leipziger Tadel.

Schuldspruch aufgehoben

Der BGH hat deshalb den Schuldspruch aufgehoben. Selbst der eingangs erwähnte Freispruch hatte keinen Bestand, weil sich die Begründung des LG, der Angeklagte habe in diesem Fall die weitergegebenen Angaben nicht dienstlich, sondern über eine Chatgruppe und damit privat erlangt, als nicht tragfähig erwiesen habe. "Allein das Medium der Kommunikation kann eine außerdienstliche Kenntniserlangung nicht belegen", schreibt der BGH in einer Pressemitteilung.

Die Revision des auskunftsfreudigen Ordnungshüters hatte hingegen in zwei Fällen Erfolg; im Übrigen erwies sie sich als unbegründet. So hob der 5. Strafsenst eine Verurteilung auf, weil es an dem für die Strafverfolgung wegen Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB) nach § 205 StGB erforderlichen Strafantrag der Verletzten fehlte. In einem weiteren Fall habe das LG seine Annahme, der Angeklagte habe in Schädigungsabsicht gehandelt, nicht belegt. Ein wichtiger Hinweis an die anderen Vorderrichter, die nun an der Reihe sind: Soweit die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft Erfolg hatte, darf das Urteil auch zu seinem Nachteil geändert werden (§ 358 Abs. 2 S. 1 StPO).

BGH, Urteil vom 15.02.2024 - 5 StR 283/23

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 15. Februar 2024.