Veröffentlichung von Tagebuchzitaten des Cum-Ex-Bankers Olearius rechtmäßig

Private Tagebuchaufzeichnungen, die von den Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmt wurden, sind keine "amtlichen Dokumente" eines Strafverfahrens. Dies hat der Bundesgerichtshof im Streit um die Veröffentlichung von Tagebuchzitaten des Cum-Ex-Bankers Christian Olearius in der "Süddeutschen Zeitung" entschieden und betont, dass diese schon durch ein großes öffentliches Interesse gerechtfertigt sei.

Streit um Veröffentlichung von Tagebuchzitaten des Cum-Ex-Bankers Olearius

Kläger ist der Warburg-Bankier Christian Olearius, gegen den wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit sogenannten Cum-Ex-Geschäften ermittelt wird. Im Jahr 2018 wurden Tagebücher des Klägers im Rahmen des Ermittlungsverfahrens beschlagnahmt. Die beklagte “Süddeutsche Zeitung“, der Inhalte der Tagebücher zugespielt wurden, veröffentlichte auf ihrer Internetseite einen Artikel, der sich mit einer möglichen Einflussnahme der Hamburger Politik auf Entscheidungen der Finanzbehörden im Zusammenhang mit Steuerrückforderungen nach Cum-Ex-Geschäften beschäftigt und zitierte darin wörtlich aus den Tagebüchern. Die Inhalte sind bis heute ein Politikum. Die Instanzgerichte verboten die Veröffentlichung weitgehend. Die Beklagte legte Revision ein.

BGH gibt Revision statt

Der Bundesgerichtshof hat der Revision nun stattgegeben. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Unterlassung der wörtlichen Wiedergabe der beanstandeten Textpassagen aus seinen Tagebüchern gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 823 Abs. 2 BGB, § 353d Nr. 3 StGB. Unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs des Normengefüges sei es haftungsrechtlich nicht vertretbar, den zivilrechtlichen Rechtsgüterschutz in der Weise vorzuverlagern, dass die deliktische Einstandspflicht unabhängig von einer tatsächlich eingetretenen Beeinträchtigung des Schutzguts und losgelöst von einer einzelfallbezogenen Abwägung mit den entgegenstehenden Rechten Dritter aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK an die abstrakte Gefahr der Bloßstellung eines Verfahrensbetroffenen geknüpft werde.

Tagebuchaufzeichnungen keine amtlichen Dokumente des Strafverfahrens

Unabhängig davon seien auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 353d Nr. 3 StGB nicht erfüllt. Bei den privaten Tagebuchaufzeichnungen des Klägers, die aufgrund eines von der Staatsanwaltschaft erwirkten Durchsuchungsbeschlusses beschlagnahmt worden seien, handele es sich nicht um "amtliche Dokumente" des Strafverfahrens. In Hinblick auf die Gewährleistungen in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 103 Abs. 2 GG verbiete sich ein weites Begriffsverständnis.

Überwiegendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit

Ein Unterlassungsanspruch ergebe sich auch nicht aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB. Zwar berühre die wortlautgetreue Wiedergabe von Auszügen aus den Tagebüchern des Klägers sein allgemeines Persönlichkeitsrecht in den Ausprägungen der Vertraulichkeitssphäre und des sozialen Geltungsanspruchs. Die Beeinträchtigung der Vertraulichkeitssphäre und des sozialen Geltungsanspruchs des Klägers sei aber nicht rechtswidrig, da das von der Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit vorliegend das Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit weit überwiegen würden. Den wörtlichen Zitaten komme ein besonderer Dokumentationswert im Rahmen der Berichterstattung über die bis in die höchste Politik hineinreichenden Vorgänge zu.

BGH, Urteil vom 16.05.2023 - VI ZR 116/22

Redaktion beck-aktuell, 16. Mai 2023.