Verkehrssicherungspflichten bei Bestellung und Weitergabe von Pkw-Ersatzschlüsseln
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Ein Kraftfahrzeugvertragshändler muss bei der (Nach-)Bestellung und Weitergabe von Ersatzschlüsseln eindeutige Berechtigungsnachweise vom Besteller verlangen, um seine besonderen Prüfpflichten nicht zu verletzen. Laut Bundesgerichtshof müsse der Gefahr des Missbrauchs vorgebeugt werden, indem die Berechtigung der Schlüsselanforderung überprüft und der Schlüsselverlust hinterfragt wird. Dies gelte auch bei einem zu einem Verbund gehörenden Händler.

Vierfacher Auto-Diebstahl mit echten Ersatzschlüsseln

Eine Kaskoversicherin verklagte eine Vertragshändlerin der VW AG aus übergegangenem Recht auf Ersatz von ihr regulierter Versicherungsschäden in Höhe von 57.660 Euro. 2015 und 2016 wurden vier bei ihr gegen Diebstahl versicherte Autos gestohlen, drei der Marke VW und eines der Marke Audi. Dabei setzten die Diebe echte Ersatzschlüssel ein. Diese waren - streitig zuletzt nur noch bezüglich des Audis - von der Fachwerkstatt beim Autokonzern bestellt und dann an eine litauische Firma weitergegeben worden. Diese war ein sogenannter NORA-Kunde ("Nicht Organisationsgebundener Rabattbegünstigter Abnehmer" von Originalteilen) des Konzerns. Für die Schlüsselbestellung teilte der ausländische Betrieb den Mitarbeitern der Beklagten lediglich die Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) des jeweiligen Wagens mit. Teile der gestohlenen Pkw wurden in einer Zerlegehalle mitsamt Belegen über die Schlüsselbestellungen sowie nachbestelltem Schlüssel aufgefunden. Die Klägerin behauptet, die Schlüssel seien von der litauischen Firma an Diebe gelangt. Die Beklagte hätte die Nachbestellung von Ersatzschlüsseln lediglich gegen eindeutige Berechtigungsnachweise abwickeln dürfen. Allein die Übermittlung der FIN reiche nicht aus, weil sie an jedem Auto frei erkennbar sei.

OLG: Unterlassene Prüfung der Berechtigung des Bestellers

Sowohl das LG Hildesheim als auch das OLG Celle bejahten einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte unter anderem aus § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 86 VVG. Die Fahrzeugdiebstähle seien der Händlerin wegen unterlassener Prüfung der Berechtigung des Bestellers zuzurechnen. Da sie als Vertragspartner der VW AG die Möglichkeit habe, Fahrzeugersatzschlüssel zu besorgen und in den Verkehr zu bringen, folge daraus eine gesteigerte Verantwortung und damit eine besondere Prüfpflicht. Die Revision der Beklagten beim BGH hatte keinen Erfolg.

Verkehrssicherungspflichten verletzt

Der VI. Zivilsenat schloss sich den Ausführungen des OLG an. Zu Recht habe es Verletzungen der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten bejaht. Diese habe durch die Überlassung von Ersatzschlüsseln an die Firma ohne vorherige Prüfung, ob diese sich berechtigt im Besitz der mit den Ersatzschlüsseln zu versorgenden Kraftfahrzeuge befand oder berechtigt für die jeweiligen Halter/Eigentümer handele, eine erhebliche Gefahrenlage für diese Eigentümer geschaffen. Durch die Nachbestellung und das Inverkehrbringen des Ersatzschlüssels werde eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf das Fahrzeug geschaffen, welche die Gefahr des Missbrauchs durch Unbefugte in sich trage. Dass die Gefahr sich aus missbräuchlichem Verhalten Dritter speise, stehe der Annahme einer Verkehrssicherungspflicht nicht entgegen. Dieser Gefahr und den tatsächlich eingetretenen Rechtsgutsverletzungen durch die Kfz-Diebstähle hätte - wie das OLG nach Ansicht der Karlsruher Richter zutreffend erkannt hat - durch Prüfung der Berechtigung der Schlüsselanforderung und Plausibilisierung des Schlüsselverlustes vorgebeugt werden können.

BGH, Urteil vom 28.03.2023 - VI ZR 19/22

Redaktion beck-aktuell, 19. Mai 2023.