Vergessener Antrag: Beschlussergänzung oder Rechtsbeschwerde?

Hat ein Gericht einen Antrag von mehreren überhaupt nicht als solchen erkannt und dementsprechend auch nicht darüber entschieden, ist dessen Entscheidung als Ganzes anzufechten. Ist hingegen nur versehentlich die Entscheidung über den Antrag unterblieben, weil das Gericht die Beschlussformel vergessen hat, ist ein Beschlussergänzungsverfahren durchzuführen.

Nicht über Kontrollbetreuer entschieden

Eine alte Dame lebte bei ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter und erteilte beiden umfassende Vollmachten. Ihr Arzt verschrieb ihr Risperidon, ein Medikament gegen Psychosen und bipolare Störungen. Ihre Tochter, die die Nebenwirkungen als zu gefährlich für die 95-Jährige einstufte, beantragte beim Betreuungsgericht, ihrem Bruder und der Schwägerin zu verbieten, der Mutter das Mittel zu verabreichen. Am Ende des anwaltlichen Schriftsatzes regte sie die Einrichtung einer Kontrollbetreuung an, weil sie einen Missbrauch der Vollmachten befürchtete. In einem weiteren Schreiben forderte sie erneut eine gerichtliche Kontrolle der Arzneivergabe. Das Amtsgericht Trier erkannte jedoch keine Lebensgefahr oder länger dauernde Gesundheitsschäden durch das Risperidon und lehnte ihre Forderung ab. Auch für die Einrichtung eines Kontrollbetreuers sah es keine Veranlassung. Ihre Beschwerde beim Landgericht Trier blieb ebenfalls erfolglos, weil das Medikament inzwischen abgesetzt worden war. Die Tochter wandte sich mit der Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof, weil das Landgericht ihren Antrag auf Einrichtung der Kontrollbetreuung ignoriert hatte – mit Erfolg.

Zwei verschiedene Rechtsbehelfe

Der XII. Zivilsenat grenzte die beiden Rechtsbehelfe voneinander ab: Eine Beschlussergänzung nach § 43 Abs. 1 FamFG setze voraus, dass über einen Antrag versehentlich nicht entschieden worden ist – so wenn ein erkennendes Gericht das Rechtsschutzbegehren geprüft und beispielsweise nur die Beschlussformel vergessen habe. Hat es aber gar nicht erkannt, dass hier ein Antrag im rechtlichen Sinne vorliegt, und diesen dementsprechend auch nicht geprüft, ist dem BGH zufolge die Rechtsbeschwerde gegen die gesamte Schlussentscheidung statthaft. Das Landgericht Trier habe offensichtlich gar nicht gesehen, dass die Tochter an ihrer Forderung nach einer Kontrollbetreuung festhalte, und nur über die Gabe des Neuroleptikums entschieden. Das Fehlende muss es nun nachholen.

BGH, Beschluss vom 06.07.2022 - XII ZB 571/21

Redaktion beck-aktuell, 5. August 2022.