Ver­dachts­be­richt­erstat­tung in Straf­sa­che

Wer sich vor einem Straf­ge­richt einer An­kla­ge wegen einer schwe­ren Straf­tat stel­len muss, muss grund­sätz­lich auch hin­neh­men, dass die Pres­se so von den An­kla­ge­vor­wür­fen be­rich­tet, dass er von der Öf­fent­lich­keit iden­ti­fi­ziert wer­den kann. Der Bun­des­ge­richts­hof fin­det: Wenn keine Vor­ver­ur­tei­lung statt­fin­det und sich der Be­richt auf die in öf­fent­li­cher Haupt­ver­hand­lung er­wähn­ten Punk­te be­schränkt, be­steht in der Regel ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se der Me­di­en. 

Ar­ti­kel über An­kla­ge wegen Be­trug

Ein Zahn­arzt, der in Köln-Mitte prak­ti­zier­te, wurde vor dem Land­ge­richt Köln an­ge­klagt, an mil­lio­nen­schwe­rem Be­trug, Steu­er­hin­ter­zie­hung, Nö­ti­gung und Vor­täu­schen einer Straf­tat be­tei­ligt ge­we­sen zu sein. Nach­dem am ers­ten Ver­hand­lungs­tag die An­kla­ge­schrift ver­le­sen wurde, be­rich­te­te eine Zei­tung von den Vor­wür­fen. An­hand des Ar­ti­kels konn­te man den An­ge­klag­ten ein­deu­tig iden­ti­fi­zie­ren, weil es nur einen ein­zi­gen Zahn­arzt mit die­sem Vor­na­men und An­fangs­buch­sta­ben des Nach­na­mens gab, der in Köln-Mitte eine Pra­xis be­trieb. Das Ver­fah­ren wegen des Vor­täu­schens einer Straf­tat wurde nach § 154 Abs. 2 StPO ein­ge­stellt. Die rest­li­chen Vor­wür­fe führ­ten zu einer Ge­samt­frei­heits­stra­fe von fünf Jah­ren. Der Me­di­zi­ner ver­klag­te die Zei­tung auf Un­ter­las­sen die­ser Mit­tei­lun­gen. Vor dem Land­ge­richt Köln er­ziel­te er hin­sicht­lich der iden­ti­fi­zie­ren­den Be­richt­erstat­tung einen Er­folg, das Ober­lan­des­ge­richt ver­bot der Zei­tung nur noch die Pas­sa­gen, die sich auf das Vor­täu­schen einer Straf­tat be­zo­gen. Beide Be­tei­lig­ten zogen vor den Bun­des­ge­richts­hof, der die Be­richt­erstat­tung für voll­um­fäng­lich recht­mä­ßig be­fand.

Pres­se­frei­heit wiegt hier schwe­rer

Die Karls­ru­her Rich­ter hal­ten den Un­ter­las­sungs­an­spruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB ana­log, § 823 Abs. 1 BGB in Ver­bin­dung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG für nicht be­grün­det. Zwar grei­fe die Be­richt­erstat­tung zwangs­läu­fig in den Schutz­be­reich des all­ge­mei­nen Per­sön­lich­keits­rechts des Zahn­arz­tes ein, weil sie sein mög­li­ches Fehl­ver­hal­ten öf­fent­lich be­kannt ge­macht habe und damit auch sei­nem An­se­hen scha­de­te. Die­ser Ein­griff ist aber dem VI. Zi­vil­se­nat zu­fol­ge nicht rechts­wid­rig, weil das Schutz­in­ter­es­se des Zahn­me­di­zi­ners ge­gen­über dem In­ter­es­se der Pres­se, über diese An­kla­ge zu be­rich­ten, nicht über­wie­ge.

Ab­wä­gung im Ein­zel­nen

Der BGH be­ton­te das star­ke In­ter­es­se der Öf­fent­lich­keit an der Be­richt­erstat­tung über Straf­ta­ten von be­son­de­rer Be­deu­tung. Der Ar­ti­kel be­schrän­ke sich auf die wahr­heits­ge­mä­ße Dar­stel­lung des ver­le­se­nen An­kla­ge­vor­wurfs. Darin liege keine Vor­ver­ur­tei­lung. Eine zu­sätz­li­che Re­cher­che durch den Re­por­ter sei an­ge­sichts der Zu­las­sung der An­kla­ge durch das Land­ge­richt auch ent­behr­lich ge­we­sen, weil nach vor­läu­fi­ger Be­trach­tung eine Ver­ur­tei­lung wahr­schein­lich ge­we­sen sei. Auch eine Stel­lung­nah­me des Zahn­arz­tes muss­te laut den Karls­ru­her Rich­tern vor Er­schei­nen der Nach­rich­ten nicht ein­ge­holt wer­den. Das nicht­öf­fent­li­che Zwi­schen­ver­fah­ren rei­che zwar nicht aus, um dem An­ge­klag­ten eine Stel­lung­nah­me zu er­mög­li­chen - ob dor­ti­ge Stel­lung­nah­men in die Haupt­ver­hand­lung ein­ge­führt wür­den, sei offen. Je­doch habe man sich hier auf eine Wie­der­ga­be des­sen be­schränkt, was in öf­fent­li­cher Haupt­ver­hand­lung er­ör­tert wor­den sei. Zudem könne eine Ver­pflich­tung zur Ein­ho­lung von Stel­lung­nah­men par­al­lel zur Haupt­ver­hand­lung die Sach­auf­klä­rung im Straf­ver­fah­ren be­ein­träch­ti­gen, da das Ge­richt dann das Aus­sa­ge­ver­hal­ten des An­ge­klag­ten in­ner­halb und au­ßer­halb des Ge­richts­saals im Blick be­hal­ten müsse. Dies sei nicht im Sinn der Un­schulds­ver­mu­tung.

BGH, Urteil vom 31.05.2022 - VI ZR 95/21

Redaktion beck-aktuell, 12. Juli 2022.

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