Unterbringung: Anhörungsfehler und Gehörsverletzung

In zwei Entscheidungen hat sich der XII. Zivilsenat mit den Rechten von untergebrachten Personen beschäftigt: Gutachten in Betreuungssachen müssen dem Betroffenen bekannt gemacht werden, und auch in Corona-Zeiten darf ein Gericht den Verzicht des Kranken auf eine persönliche Anhörung nicht unhinterfragt billigen. Das hat der Bundesgerichtshof mit Beschlüssen vom 14.10.2020 entschieden.

Gutachten wurde nicht übersandt

In dem Verfahren XII ZB 146/20 wandte sich der Betroffene gegen die durch Zeitablauf erledigte Genehmigung seiner Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung. Das AG Hann. Münden hatte seine Einweisung in eine psychiatrische Klinik bis längstens zum 29.07.2020 gebilligt. Das für die Entscheidung maßgebliche Gutachten wurde dem Mann nicht persönlich bekannt gegeben. Er machte daher eine Verletzung rechtlichen Gehörs geltend. Seine Beschwerde blieb vor dem LG Göttingen erfolglos: Der Betroffene sei in Anwesenheit der Verfahrenspflegerin richterlich angehört worden. Von einer erneuten persönlichen Anhörung werde abgesehen, das AG habe ihn umfassend angehört.

Unterlassen persönlicher Anhörung

In dem Verfahren XII ZB 235/20 wehrten sich ein Demenzkranker und dessen ehemaliger Betreuer gegen die neue Betreuerin, eine Rechtsanwältin. Der Patient wurde zunächst von seinem Freund betreut, den er während eines gemeinsamen Haftaufenthalts kennengelernt hatte. Als Probleme auftraten, erweiterte das AG Lindau (Bodensee) den Aufgabenkreis der Betreuung und bestellte die Juristin als zusätzliche Betreuerin. Daraufhin forderte der frühere Haftgenosse für sich und seinen Schützling die „Sofortige einsetzung in den ursprunglichen zustand“. Seit Juni 2019 wollte der Kranke aber nicht mehr von diesem unterstützt werden. Dazu hörte ihn das AG an, worauf er seine Beschwerde zurücknahm. Das AG entließ den Betreuer und bestellte die Anwältin nunmehr als alleinige Betreuerin. Dagegen legten der Kranke und dessen ehemaliger Betreuer Beschwerde ein. Zu einem weiteren Anhörungstermin erschienen die beiden mit Hinweis auf "Corona" nicht. Das LG Kempten wies die Beschwerden zurück: Von einer weiteren Anhörung sei aufgrund der Corona-Krise und der grundsätzlichen Kenntnis des Falls aus vorhergehenden Anhörungen abgesehen worden.

BGH: Gehörsverletzung und fehlende Anhörung

In beiden Fällen lagen aus Sicht der Bundesrichter Verfahrensmängel vor. Die fehlende Möglichkeit im ersten Fall, das Gutachten zur Kenntnis zu nehmen, wiege besonders schwer: Der Verfahrensmangel sei derart gewichtig, dass der Unterbringung "insgesamt der Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung anhafte(t)". Dadurch sei der Mann in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden. Dem XII. Zivilsenat zufolge hätte das LG Göttingen diesen Mangel durch die Übersendung des Sachverständigengutachtens und seine erneute Anhörung beheben müssen.

Im zweiten Fall rügten die Karlsruher Richter das Absehen von der persönlichen Anhörung und gaben das Verfahren nach Bayern zurück. Laut dem BGH hätte das LG Kempten nicht von einer weiteren persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen dürfen. Zwischenzeitlich sei das Sachverständigengutachten eingegangen und hätte erörtert werden müssen. Zu keinem anderen Ergebnis führe der pauschale Hinweis auf die Corona-Krise.

BGH, Beschluss vom 14.10.2020 - XII ZB 146/20

Redaktion beck-aktuell, 13. November 2020.