Unlautere Geschäftspraktik durch Zahlungsaufforderung
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Wer einen anderen auffordert, eine Forderung zu begleichen, obwohl das behauptete Vertragsverhältnis überhaupt nicht besteht, verstößt gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Das gilt dem Bundesgerichtshof zufolge selbst dann, wenn das Inkassounternehmen nicht weiß, dass der Forderung ein Fake-Vertrag zugrunde liegt.

Opfer eines Identitätsdiebstahls soll zahlen

Eine Frau bekam aus heiterem Himmel eine Aufforderung von einem Inkassounternehmen: Sie solle rund 650 Euro bezahlen, weil sie im November 2017 einen Mobilfunkvertrag abgeschlossen habe. Einen solchen Vertrag mit ihren Daten gab es zwar, aber den hatte nicht die Adressatin des Schreibens geschlossen. Leistungen aus diesem Vertrag, insbesondere eine SIM-Karte, hatte sie auch nie erhalten. Sie wandte sich daher an einen Verbraucherschutzverband, der die Inkassofirma wegen unlauterer Geschäftspraktiken erfolglos abmahnte. Vor dem Landgericht Hamburg verlangte der Verband vom Inkassounternehmen vergeblich die Unterlassung von Forderungsschreiben, wenn diesem überhaupt kein Vertragsverhältnis zugrunde liegt. Das Oberlandesgericht Hamburg gab der Klage dagegen statt.

Forderungsschreiben ist unlauter

Der Bundesgerichtshof sah das genauso. Die Verbraucherschützer haben demnach einen Anspruch auf Unterlassen dieser Schreiben aus §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Fall 1 UWG in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 3 UWG: Die Zahlungsaufforderung sei unlauter, weil die Behauptung, die Adressatin habe einen Vertrag geschlossen, unwahr ist. Diese falschen Angaben seien auch geeignet, die Verbraucherin irrezuführen. Der I. Zivilsenat geht dabei davon aus, dass ein erheblicher Teil des angesprochenen Verkehrskreises sich über einen solchen Vertragsschluss täuschen ließe, weil sich gerade über Telefon und Internet – vielleicht sogar als Kombi-Paket – sehr leicht Verträge schließen lassen. Nach Zugang einer solchen Aufforderung werde der Betroffene häufig einen versehentlichen oder nicht mehr erinnerlichen Abschluss annehmen und die vermeintliche Forderung begleichen. Der BGH hält dieses vom OLG Hamburg angenommene Verhalten für mit dem Leitbild eines verständigen und situationsadäquat aufmerksamen Durchschnittsverbrauchers vereinbar.

Irrtum der Inkassofirma ohne Belang

Der Einwand, dass das Inkassounternehmen in der Regel nichts über das Wie eines Vertragsschlusses wissen könne, sondern von der Richtigkeit der von den Auftraggebern übermittelten Daten ausgehe, ist den Karlsruher Richtern zufolge unerheblich. Weder § 5 UWG noch Art. 6 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken setzten voraus, dass der Gewerbetreibende vorsätzlich falsche Angaben mache. Auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung spiele ein mangelndes Verschulden keine Rolle – erst im Vollstreckungsverfahren sei dieser Umstand zu berücksichtigen.

Rechtsprechungsänderung

Unzulässige geschäftliche Handlungen nach § 3 Abs. 3 UWG sind nach Nr. 29 des Anhangs I der Norm stets anzunehmen, wenn die Aufforderung zur Bezahlung nicht bestellter, aber gelieferter Waren oder erbrachter Dienstleistungen ergeht. Hatte der I. Zivilsenat zur alten Fassung der Vorschrift noch angenommen, dass dies auch für Fälle gilt, in denen eine Ankündigung zur Lieferung der Produkte oder zur Erbringung der Dienstleistung genügt, ist er nunmehr davon überzeugt, dass ohne Lieferung oder Erbringung die Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Der Verbraucher muss die Ware oder die Möglichkeit zur Nutzung der Dienstleistung erhalten haben, sonst fehle es an der spezifischen Drucksituation, aus der heraus er sich zur Zahlung verpflichtet fühlen könnte. Im aktuellen Fall liege eine solche Drucksituation nicht vor, da die Adressatin keinerlei Leistung von dem Mobilfunkunternehmen erhalten habe – für sie gelte die allgemeine Vorschrift § 5 Abs. 1 Satz 1 UWG, die die speziellen Tatbestände in § 3 UWG ergänze.

BGH, Urteil vom 20.10.2021 - I ZR 17/21

Redaktion beck-aktuell, 23. Dezember 2021.