Um­fas­sen­de rich­ter­li­che Hin­weis­pflicht bei Ein­zie­hung

Weist die An­kla­ge­schrift nicht be­reits ein­deu­tig dar­auf hin, dass die Beute im Fall der Ver­ur­tei­lung ein­ge­zo­gen wird, muss der Straf­rich­ter dem An­ge­klag­ten einen rich­ter­li­chen Hin­weis hier­auf er­tei­len. Diese um­strit­te­ne Frage wurde nun­mehr vom Gro­ßen Senat für Straf­sa­chen ge­klärt. Der Hin­weis müsse auch dann er­ge­hen, wenn die Sach- oder Rechts­la­ge sich wäh­rend des Ver­fah­rens nicht ge­än­dert habe.

An­kla­ge­schrift und Er­öff­nungs­be­schluss haben Ein­zie­hung nicht be­nannt

Dem 5. Straf­se­nat lag eine Re­vi­si­on vor, die sich unter an­de­rem dar­auf stützt, dass der wegen Be­stech­lich­keit ver­ur­teil­te An­ge­klag­te von der Ein­zie­hung in Höhe von knapp 68.000 Euro im Ur­teil über­rascht wurde. Zwar seien in der An­kla­ge­schrift alle Tat­sa­chen be­schrie­ben wor­den, die zwangs­läu­fig zu einer Ein­zie­hungs­maß­nah­me füh­ren, aber die Maß­nah­me selbst war nicht er­wähnt wor­den. Der 5. Straf­se­nat woll­te die Re­vi­si­on ver­wer­fen, weil er es für aus­rei­chend hielt, dass dem An­ge­klag­ten alle ein­zie­hungs­re­le­van­ten Tat­sa­chen be­kannt waren. Einem sol­chen Be­schluss stan­den aber Ent­schei­dun­gen des 1. Straf­se­nats ge­gen­über, der in die­sen Fäl­len einen förm­li­chen Hin­weis nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO ver­langt. Weil beide Se­na­te an ihrer Auf­fas­sung fest­hiel­ten, wurde die Frage dem Gro­ßen Senat für Straf­sa­chen vor­ge­legt.

Hin­weis­pflicht als Aus­fluss des Rechts­staats­prin­zips

Der Große Straf­se­nat be­jaht die Hin­weis­pflicht nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO in der Haupt­ver­hand­lung, wenn die zu­ge­las­se­ne An­kla­ge kei­nen Hin­weis auf die Ein­zie­hung ent­hält. Das gelte auch un­ab­hän­gig davon, ob die Summe sich wäh­rend der Haupt­ver­hand­lung ver­än­dert habe oder nicht. Vor allem be­grün­den die Bun­des­rich­ter diese Ent­schei­dung mit dem Sinn und Zweck der Norm: Es gehe darum, den An­ge­klag­ten vor über­ra­schen­den Ent­schei­dun­gen zu be­wah­ren. Um ein fai­res Ver­fah­ren zu ge­währ­leis­ten, müsse er sich ver­tei­di­gen kön­nen. Wenn die Ein­zie­hung nicht aus­drück­lich be­nannt werde, laufe der An­ge­klag­te Ge­fahr, dass er die Ge­le­gen­hei­ten, sich in die­ser Hin­sicht zu äu­ßern, un­ge­nutzt ver­strei­chen lasse, weil er nichts von der Ein­zie­hung weiß. Al­lein die Auf­zäh­lung aller Tat­sa­chen in der An­kla­ge­schrift än­de­re daran nichts, weil sie so­wohl für den Schuld­spruch als auch für die Rechts­fol­ge re­le­vant seien.

Aus­le­gung ent­spricht ge­setz­ge­be­ri­schem Wil­len und passt auch sys­te­ma­tisch

Die Bun­des­rich­ter be­grün­den ihre An­sicht wei­ter mit der Neu­re­ge­lung der Ver­falls­re­geln in 2017: Der Ge­setz­ge­ber habe die Hin­weis­pflich­ten aus­drück­lich auf die Ein­zie­hung er­wei­tert, ohne sie da­hin­ge­hend ein­zu­schrän­ken, dass sie nur durch das Hin­zu­kom­men neuer Tat­sa­chen in der Haupt­ver­hand­lung aus­ge­löst wird. Auch im Zu­sam­men­spiel mit der An­kla­ge­schrift in § 200 StPO und dem Er­öff­nungs­be­schluss in § 207 StPO, die alle re­le­van­ten Tat­sa­chen für den Schuld­spruch auf­lis­te, er­stre­cke sich die Hin­weis­pflicht auch auf die Rechts­fol­gen der vor­ge­wor­fe­nen Tat.

BGH, Beschluss vom 22.10.2020 - GSSt 1/20

Redaktion beck-aktuell, 12. November 2021.

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