Umfassende Betreuung muss Ausnahme bleiben

Wenn Gerichte eine Betreuung anordnen, darf dies nur in besonders schweren Fällen für "alle Angelegenheiten" geschehen. Daran hat der Bundesgerichtshof in einem heute veröffentlichten Urteil erinnert. Die Voraussetzung: Der Betroffene kann gar nichts mehr selbst erledigen – und wegen seiner aktuellen Lebenssituation besteht ein umfassender Handlungsbedarf.

Wohnungskündigung wegen Wahnvorstellungen

In dem jetzt entschiedenen Fall hatte das Amtsgericht Passau wegen einer wahnhaften psychischen Störung eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis "alle Angelegenheiten incl. Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post" eingerichtet. Das dortige Landgericht wies eine Beschwerde der betroffenen Frau zurück. Der Grund: Sie leide unter Halluzinationen, dass sich in ihrer Wohnung fremde Menschen aufhielten, etwa der frühere Vermieter oder der Hausmeister. Nach Abwesenheiten fehlten ihr vermeintlich Ordner, die dann aber wieder auftauchten. Deshalb minderte sie die Miete, woraufhin ihr schließlich gekündigt wurde. Ein psychiatrischer Gutachter bescheinigte ihr eine ein "weit ausgebautes Wahngebäude", das vermutlich bereits chronisch sei. Die Diagnose wird im Klassifikationsschlüssel ICD 10 in der Kategorie "F 22.0" eingeordnet.

Hohe Anforderungen

Den Bundesrichtern reichte dies jedoch nicht für eine solch umfassende Übertragung der Geschäftsfähigkeit auf einen Betreuer. Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB dürfe ein solcher nur bestellt werden, soweit dies erforderlich ist. Das müssten die Tatgerichte konkret feststellen. Ebenso, dass keine weniger einschneidende Maßnahme in Betracht komme. Eine subjektive Unfähigkeit der erkrankten oder behinderten Person reicht demzufolge nicht. Hinzukommen muss ein objektiver Betreuungsbedarf. Dabei genügt es dem BGH zufolge allerdings, dass ein Handlungsbedarf in dem jeweiligen Aufgabenkreis jederzeit eintreten kann. Ob all dies der Fall ist, muss das LG nun näher prüfen.

Vorsorgevollmacht half nicht

Der XII. Zivilsenat hatte erst kürzlich auf diese Voraussetzungen hingewiesen (Beschluss vom 13.05.2020 - XII ZB 61/20BeckRS 2020, 14219). In dem Verfahren, das vom Landgericht Amberg kam, ging es um eine 96-jährige Bewohnerin eines Pflegeheims, die an Demenz litt. Weil sie auch körperlich eingeschränkt war, konnte sie etwa einen Stift nicht richtig greifen und ihren Namen nicht selbstständig schreiben. Ihren Sohn erkannte sie bei der Anhörung nicht, und auch ihr Geburtsdatum wusste sie nicht. Dies reichte den Karlsruher Richtern aus. Der Sohn hatte zwar eine Vorsorgevollmacht, doch litt er den Feststellungen zufolge wegen einer Persönlichkeitsstörung unter "wahnhaften Vermutungen", brüllte das Heimpersonal an und beschimpfte es als "Betreuungsmafia".

BGH, Beschluss vom 10.06.2020 - XII ZB 25/20

Redaktion beck-aktuell/jja, 27. Juli 2020.