"Transparenzerklärung" ist auch ein Dealvorschlag

Sobald ein Strafgericht einen Vorschlag zur Beendigung eines Prozesses macht, wonach der Angeklagte bei einem bestimmten prozessualen Verhalten (meist Geständnis) eine Strafe im gegebenen Rahmen erwarten dürfe, liegt ein Verständigungsvorschlag vor. Der Bundesgerichtshof hob ein Urteil auf, welches auf einer sogenannten Transparenzerklärung beruhte, von der das Gericht behauptete, es sei gerade kein Dealvorschlag, und deshalb auch keinen der Angeklagten nach den Verständigungsregeln belehrte.

Umfangreiches Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung

Fünf - im Wesentlichen schweigende - Angeklagte standen vor dem Berliner Landgericht, um rund 5.000 Fälle von Steuerhinterziehung zu verhandeln. Nach 18 Verhandlungstagen erörterten die Robenträger die Möglichkeit einer Verständigung, sahen aber dann davon ab. Dabei machte die Kammer deutlich, dass sie das Verfahren für nicht "verständigungsgeeignet" halte. Der Vorsitzende mailte den Verteidigern und dem Staatsanwalt anschließend eine sogenannte Transparenzerklärung: Hierin gab er eine Einschätzung der Kammer ab, wie sie das bisherige Beweisergebnis würdige und welche Strafrahmen sie bei Abgabe eines umfassenden Geständnisses für jeden einzelnen Angeklagten anlegen würde. Am nächsten Verhandlungstag erklärte er, dass diese Transparenzerklärung kein Verständigungsvorschlag sei. Die Kammer sei auch im Fall einer Einlassung nicht an die genannten Strafober- und -untergrenzen gebunden. Nachdem er die E-Mail verlesen hatte, gaben vier der Angeklagten Teilgeständnisse ab. Das Gericht erklärte, diese Geständnisse seien nicht umfassend und ließ protokollieren, es hätten keine Verständigungsgespräche nach § 257c StPO stattgefunden. Alle Angeklagten wurden - gestützt auf die Geständnisse - zu mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt und legten Revision zum Bundesgerichtshof ein - mit Erfolg.

Und es war doch ein Deal

Die Berliner Kammer hat mit ihrer "Transparenzerklärung" dem BGH zufolge eindeutig einen Verständigungsvorschlag nach § 257c Abs. 3 StPO gemacht: Sie hat bestimmte Strafrahmen im Gegenzug für ein umfassendes Geständnis in Aussicht gestellt. Sobald Gespräche zum Zweck der Verfahrensbeendigung zwischen den Verfahrensbeteiligten geführt werden, die das prozessuale Verhalten des Angeklagten mit einem bestimmten Verfahrensergebnis miteinander verknüpfen, liegt laut den Karlsruher Richtern ein Verständigungsgespräch nach § 257c StPO vor. Daran ändere sich nichts, wenn die Kammer ihren Verständigungsvorschlag als "Transparenzerklärung" bezeichne. Auch das Fehlen einer ausdrücklichen Zustimmungserklärung der Angeklagten sei unschädlich.

Deal ohne Belehrung

Vor dem Zustandekommen einer Verständigung ist der Angeklagte über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis zu belehren. Diese Belehrung soll dem Angeklagten eine autonome Entscheidung ermöglichen, indem er genau darüber informiert wird, unter welchen Voraussetzungen das Gericht an den Deal nicht mehr gebunden ist. Das Landgericht hatte die Angeklagten dahingehend nicht belehrt, weil es gerade davon ausging, dass keine Verständigung vorlag. Die Karlsruher Richter nahmen an, dass das Urteil auch auf dem Verstoß gegen die Belehrungspflicht beruhte (§ 337 Abs. 1 StPO) und hoben es auf. Außerdem habe das Landgericht Berlin die Einlassungen verwertet, obwohl es die Geständnisse nicht für ausreichend hielt, und damit auch gegen § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO verstoßen.

BGH, Beschluss vom 23.09.2021 - 1 StR 43/21

Redaktion beck-aktuell, 18. November 2021.