BGH: Stren­ge An­for­de­run­gen an Zu­stan­de­kom­men eines An­walts­ver­tra­ges durch schlüs­si­ges Ver­hal­ten

RVG §§ 1ff.

Ein An­walts­ver­trag setzt über­ein­stim­men­de, auf den Ab­schluss eines ent­spre­chen­den Ver­tra­ges ge­rich­te­te Wil­lens­er­klä­run­gen der Ver­trags­par­tei­en vor­aus. Er­klä­run­gen kön­nen auch in schlüs­si­gem Ver­hal­ten der Ver­trags­par­tei­en ent­hal­ten sein, wenn das Ver­hal­ten des an­de­ren Teils von dem Rechts­an­walt bei An­wen­dung der im Ver­kehr er­for­der­li­chen Sorg­falt nach Treu und Glau­ben als ein auf den Ab­schluss des An­walts­ver­tra­ges ge­rich­te­te Wil­lens­er­klä­rung auf­zu­fas­sen war und sein nach­fol­gen­des Ver­hal­ten als An­nah­me des Auf­trags ge­deu­tet wer­den durf­te. Dabei sind im In­ter­es­se der Rechts­si­cher­heit stren­ge An­for­de­run­gen an einen Ver­trags­schluss durch schlüs­si­ges Ver­hal­ten zu stel­len. (Leit­sät­ze der Schrift­lei­tung)

BGH, Ur­teil vom 14.02.2019 - IX ZR 203/18 (LG Ol­den­burg), BeckRS 2019, 11446

An­mer­kung von
Rechts­an­walt Dr. Hans-Jo­chem Mayer, Fach­an­walt für Ver­wal­tungs­recht und Fach­an­walt für Ar­beits­recht, Bühl

Aus beck-fach­dienst Ver­gü­tungs- und Kos­ten­recht 14/2019 vom 04.07.2019

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des zwei­wö­chent­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes Ver­gü­tungs- und Kos­ten­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im Ver­gü­tungs- und Kos­ten­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis des Ver­gü­tungs- und Kos­ten­rechts. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de

Sach­ver­halt

Der Be­klag­te hatte sich als aty­pi­scher stil­ler Ge­sell­schaf­ter an einer Ge­sell­schaft der „G.“ be­tei­ligt und Ein­la­gen von mehr als 20.000 EUR er­bracht. Über das Ver­mö­gen der Ge­sell­schaf­ten wurde das In­sol­venz­ver­fah­ren er­öff­net. Der Be­klag­te be­auf­trag­te die kla­gen­de An­walts­so­zie­tät mit der Wahr­neh­mung sei­ner In­ter­es­sen ge­gen­über den In­itia­to­ren und Kon­zep­tan­ten der „G.“. Der Rechts­schutz­ver­si­che­rer des Be­klag­ten sagte die Über­nah­me der hier­mit ver­bun­de­nen Kos­ten zu.

Mit Schrei­ben vom 9.3.2011 un­ter­rich­te­te die Klä­ge­rin den Be­klag­ten über die Mög­lich­keit, auch die Wirt­schafts­prü­fungs- und Be­ra­tungs­ge­sell­schaf­ten der „G.“ (fort­an: Wirt­schafts­prü­fer) auf Scha­den­er­satz in An­spruch zu neh­men. Der Be­klag­te un­ter­zeich­ne­te das dem Schrei­ben bei­ge­füg­te, mit „Auf­trag und Voll­macht“ über­schrie­be­ne For­mu­lar und sand­te es an die Klä­ge­rin zu­rück. Mit wei­te­ren Schrei­ben vom 12.8.2011 wies die Klä­ge­rin dar­auf hin, dass der Rechts­schutz­ver­si­che­rer zur Über­nah­me der Kos­ten ver­pflich­tet sei und die De­ckungs­zu­sa­ge un­be­rech­tigt ver­wei­ge­re.

Im De­zem­ber 2011 lei­te­te die Klä­ge­rin meh­re­re hun­dert Gü­te­ver­fah­ren bei einer Gü­te­stel­le in L. ein. Die Gü­te­ver­fah­ren schei­ter­ten. Der Rechts­schutz­ver­si­che­rer des Be­klag­ten ver­wei­ger­te die Über­nah­me der Kos­ten für eine Klage. Der Be­klag­te for­der­te die Klä­ge­rin mit Schrei­ben vom 24.12.2012 auf, alle lau­fen­den Ver­fah­ren kos­ten­güns­tig zu be­en­den. Unter dem 1.10.2014 stell­te die Klä­ge­rin dem Be­klag­ten für ihre Tä­tig­keit im Rah­men des Gü­te­ver­fah­rens ins­ge­samt 1.633,87 EUR in Rech­nung, Im Kla­ge­ver­fah­ren ver­lang­te sie die Zah­lung des Rech­nungs­be­tra­ges von 1.633,87 EUR nebst Zin­sen.

Das AG wies die Klage ab. Das Be­ru­fungs­ge­richt ver­ur­teil­te den Be­klag­ten zur Zah­lung von 1.348,27 EUR nebst Zin­sen. Mit ihrer vom Be­ru­fungs­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on woll­te die Klä­ge­rin die Ver­ur­tei­lung des Be­klag­ten zur Zah­lung wei­te­rer 285,60 EUR nebst Zin­sen er­rei­chen. Der Be­klag­te legte An­schluss­re­vi­si­on mit dem Ziel der Wie­der­her­stel­lung des amts­ge­richt­li­chen Ur­teils ein. Die Re­vi­si­on der Klä­ge­rin blieb ohne Er­folg, die An­schluss­re­vi­si­on des Be­klag­ten führ­te zur Wie­der­her­stel­lung des Ur­teils des AG.

Ent­schei­dung: Kein Ver­zicht auf Zu­gang der An­nah­me­er­klä­rung bei un­kla­rem An­ge­bot

Zwi­schen den Par­tei­en sei kein An­walts­ver­trag über die Gel­tend­ma­chung et­wai­ger An­sprü­che des Be­klag­ten gegen die Wirt­schafts­prü­fer zu­stan­de ge­kom­men, so der BGH.

Das Be­ru­fungs­ge­richt habe den in­so­weit un­strei­ti­gen Sach­ver­halt un­voll­stän­dig ge­wür­digt und dabei den Grund­satz der bei­der­seits in­ter­es­sen­ge­rech­ten Aus­le­gung von Wil­lens­er­klä­run­gen außer Acht ge­las­sen. Mit der Über­sen­dung des keine Ein­schrän­kung ent­hal­ten­den Auf­trags- und Voll­macht­for­mu­lars habe der Be­klag­te auf das An­schrei­ben der Klä­ge­rin vom 9.3.2011 ge­ant­wor­tet. In die­sem Schrei­ben heiße es wört­lich: „Wegen der Neu­re­ge­lung der Ver­jäh­rung im Jahr 2001 müs­sen Ihre An­sprü­che gegen die Wirt­schafts­prü­fer noch in die­sem Jahr gel­tend ge­macht wer­den. Wir bit­ten Sie daher, die bei­ge­füg­te Voll­macht un­ter­schrie­ben im Ori­gi­nal als­bald zu­rück­zu­sen­den. Nach Ein­ho­lung der ent­spre­chen­den De­ckungs­zu­sa­ge Ihrer Rechts­schutz­ver­si­che­rung wer­den wir Ihre An­sprü­che gegen die Wirt­schafts­prü­fungs­ge­sell­schaft wegen Bei­hil­fe zum Be­trug gel­tend ma­chen. Die Stel­lung der De­ckungs­an­fra­ge er­folgt wie bis­her durch un­se­re Kanz­lei. Soll­ten sich bei der Ein­ho­lung von Kos­ten­schutz Pro­ble­me er­ge­ben, wer­den wir Rück­spra­che mit Ihnen neh­men.“

Mit die­sen Wor­ten habe die Klä­ge­rin hin­rei­chend deut­lich zum Aus­druck ge­bracht, dass sie die (be­haup­te­ten) An­sprü­che gegen die Wirt­schafts­prü­fer erst nach Ein­ho­lung einer De­ckungs­zu­sa­ge gel­tend ma­chen werde. Bei Pro­ble­men habe sie beim Be­klag­ten nach­fra­gen sol­len, wie wei­ter ver­fah­ren wer­den soll­te. Die Klä­ge­rin habe nicht tätig wer­den müs­sen, so­lan­ge die De­ckungs­zu­sa­ge nicht vor­lag. Der Be­klag­te habe dann, wenn es bei der Ein­ho­lung der De­ckungs­zu­sa­ge zu Schwie­rig­kei­ten kam, ent­schei­den kön­nen sol­len, wel­ches Kos­ten­ri­si­ko er ein­ge­hen wolle.

Das An­schrei­ben der Klä­ge­rin vom 12.8.2011, wel­ches der Be­klag­te nicht be­ant­wor­tet habe, habe eben­falls nicht zum Ab­schluss eines An­walts­ver­tra­ges über die Gel­tend­ma­chung von An­sprü­chen gegen die Wirt­schafts­prü­fer ge­führt. Das ge­nann­te Schrei­ben der Klä­ge­rin ent­hal­te für sich ge­nom­men kein An­ge­bot auf Ab­schluss eines An­walts­ver­tra­ges.

Ein An­ge­bot auf Ab­schluss eines An­walts­ver­tra­ges, wel­ches sich aus einer Zu­sam­men­schau des ers­ten Schrei­bens der Klä­ge­rin vom 9.3.2011 und ihres wei­te­ren Schrei­bens vom 12.8.2011 er­ge­ben hätte kön­nen, habe nicht gem. § 151 BGB ohne Er­klä­rung ge­gen­über der Klä­ge­rin an­ge­nom­men wer­den kön­nen. Der Ver­zicht auf den Zu­gang der An­nah­me­er­klä­rung könne auch kon­klu­dent er­fol­gen. Er­for­der­lich sei je­den­falls ein als Wil­lens­be­tä­ti­gung zu wer­ten­des, nach außen her­vor­tre­ten­des Ver­hal­ten des An­ge­bots­emp­fän­gers, aus wel­chem sich der An­nah­me­wil­le deut­lich er­ge­be.

Keine der ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen sei hier er­füllt. Im Schrei­ben vom 9.3.2011 habe die Klä­ge­rin er­klärt, dass sie sich beim Be­klag­ten mel­den werde, wenn es Pro­ble­me bei der Ein­ho­lung der De­ckungs­zu­sa­ge geben würde. Die­ser Fall sei aus ihrer Sicht ein­ge­tre­ten, wie ihr wei­te­res Schrei­ben vom 12.8.011 hin­rei­chend deut­lich zum Aus­druck ge­bracht habe. Dar­über, wie hin­sicht­lich die­ser An­sprü­che – etwa im Hin­blick auf die zum Jah­res­en­de dro­hen­de Ver­jäh­rung – habe ver­fah­ren wer­den sol­len, habe sich das Schrei­ben nicht ver­hal­ten. Die Klä­ge­rin habe nicht etwa um Wei­sung ge­be­ten, ob sie die Wirt­schafts­prü­fer nun­mehr in An­spruch neh­men dürfe, oder über­haupt zu er­ken­nen ge­ge­ben, wel­che Tä­tig­kei­ten sie – vom Vor­ge­hen gegen den Ver­si­che­rer ab­ge­se­hen – nun­mehr ent­fal­ten wolle. Die Mög­lich­keit eines Gü­te­an­tra­ges habe sie nicht ein­mal an­ge­deu­tet. Sei es für den Be­klag­ten als An­ge­bots­emp­fän­ger un­klar ge­blie­ben, was wei­ter ge­sche­hen soll­te, habe die Klä­ge­rin nicht auf den Zu­gang der Ent­schei­dung des Be­klag­ten über das wei­te­re Vor­ge­hen ver­zich­tet. Das an­ge­foch­te­ne Ur­teil könne des­halb kei­nen Be­stand haben. Das klag­ab­wei­sen­de Ur­teil des AG werde wie­der­her­ge­stellt.

Pra­xis­hin­weis

Die Ent­schei­dung des BGH be­legt, dass die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit dem Man­dan­ten, ins­be­son­de­re wenn es zu­sätz­lich noch um die Frage der Ein­ho­lung einer De­ckungs­zu­sa­ge durch die Rechts­schutz­ver­si­che­rung geht, klar und ein­deu­tig sein muss (vgl. all­ge­mein zu den Hin­weis­pflich­ten im Zu­sam­men­hang mit der Ein­tritts­pflicht einer Rechts­schutz­ver­si­che­rung Ge­rold/Schmidt/Mül­ler-Rabe, 23. Aufl. 2017, RVG § 1 Rn. 336-338).

Redaktion beck-aktuell, 9. Juli 2019.

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