Streit um Angebot für Übernahme der Postbank
Die Kläger sind Aktionäre der von der Beklagten übernommenen Deutschen Postbank AG (Postbank). Obwohl sie dem Übernahmeangebot zum Preis von 25 Euro je Aktie zugestimmt hatten, sind sie der Auffassung, dass die Beklagte 57,25 Euro je Aktie als angemessene Gegenleistung hätte anbieten müssen und verlangen die Zahlung des Differenzbetrags. Sie berufen sich insbesondere auf den "Ursprungsvertrag" von 2008 über den Erwerb einer Minderheitsbeteiligung an der Postbank von 29,75% zum Preis von 57,25 Euro pro Aktie. Sie sind der Ansicht, die Deutsche Bank AG hätte schon aufgrund des Ursprungsvertrags ein Pflichtangebot zu einem Preis von 57,25 Euro pro Aktie veröffentlichen müssen, weil dieser Vertrag zu einem Kontrollerwerb der Beklagten gemäß § 29 Abs. 2 WpÜG geführt habe.
Wann hielt die Deutsche Bank 30% der Aktien?
Die Deutsche Bank hatte die Postbank zwischen 2008 und 2015 vollständig übernommen. Den Anteilseignern wurde im Oktober 2010 ein freiwilliges Übernahmeangebot von 25 Euro je Aktie gemacht. Es wurde für mehr als 48 Millionen Aktien angenommen - auch von den Klägern. Kernfrage des Streits ist, ob die Deutsche Bank faktisch schon früher bei der Postbank das Sagen hatte. Dann hätte das Geldhaus bereits zu diesem Zeitpunkt ein Pflichtangebot unterbreiten müssen. Und vor der Finanzkrise hatte der Kurs der Postbank-Aktie deutlich höher gelegen. Laut Gesetz hat der Bieter die Kontrolle übernommen, wenn er mindestens 30% der Stimmrechte hält. Die Deutsche Bank hatte mit der Deutschen Post ursprünglich 2008 den Erwerb einer Minderheitsbeteiligung von 29,75% vereinbart - also knapp unter der Schwelle. Darüber hinaus gab es allerdings ein schwer durchschaubares Geflecht von Vereinbarungen. Nach Ansicht der Kläger hätten die Stimmrechte aus den Aktien im Besitz der Deutschen Post deshalb damals schon der Deutschen Bank zugerechnet werden müssen.
BGH verweist Verfahren zurück
Im Verfahren II ZR 9/21 scheiterte die Klage nach zwischenzeitlicher Aufhebung des Berufungsurteils erneut vor dem Oberlandesgericht. Im Verfahren II ZR 14/21 wies das Oberlandesgericht die Berufung der Beklagten zurück. Die Kläger legten Revision ein. Der BGH hat jetzt beide Berufungsurteile aufgehoben und die Sachen an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Grundsätzlich bestünde ein Anspruch auf weitere Zahlung, wenn die Beklagte bereits auf Grund der zwischen dem 12.09.2008 bis Ende Februar 2009 geschlossenen Vereinbarungen verpflichtet gewesen wäre, den Aktionären der Deutschen Postbank AG ein Pflichtangebot nach § 35 Abs. 2 WpÜG zu unterbreiten, so die Richter. Hierfür komme es darauf an, ob die Beklagte die Schwelle von mindestens 30% der Stimmrechte an der Postbank aufgrund der Zurechnung von Stimmrechten aus den von der Deutschen Post AG gehaltenen Aktien gemäß § 30 WpÜG überschritten habe. Die den Berufungsurteilen zu Grunde liegende Beurteilung, dass die Voraussetzungen für eine Zurechnung von Stimmrechten nicht vorliegen, halte in einigen Punkten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Beurteilung dieser Frage sei hochkomplex, so der Vorsitzende Richter Manfred Born bei der Urteilsverkündung. Die entscheidende Vorschrift sei auch für erfahrene Kapitalmarktjuristen nicht einfach zu handhaben. Das OLG müsse sich nun unter anderem mit der Frage befassen, ob die Deutsche Post damals Postbank-Aktien bereits "für Rechnung" der Deutschen Bank gehalten habe, wie es im Gesetz heißt. Hierbei komme es darauf an, wer die Chancen und Risiken aus den Aktien trage, also von einer möglichen Dividende profitieren würde. Der BGH hält es für möglich, dass das schon die Deutsche Bank gewesen sein könnte.
Einflussnahme durch Interessenschutzklauseln?
Soweit die Vereinbarungen Regelungen zur Ausübung der Stimmrechte aus den Aktien durch die Deutsche Post AG bis zum Vollzug der Transaktionen (sogenannte Interessenschutzklauseln) enthielten, komme es für die Zurechnung wegen einer Verhaltensabstimmung durch eine Verständigung über die Ausübung von Stimmrechten (§ 30 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Fall 1, Satz 2 Fall 1 WpÜG) nicht darauf an, ob eine Interessenschutzklausel darauf gerichtet sei, die bestehenden Verhältnisse bei der Zielgesellschaft im Zeitraum zwischen dem Abschluss und dem Vollzug eines Kaufvertrags über Aktien der Zielgesellschaft aufrechtzuerhalten und/oder diese keine über die allgemeine Leistungstreuepflicht hinausgehende Absprache oder tatsächliche Einflussnahme vorsehe. Maßgeblich sei vielmehr, ob die Regelungen auf eine tatsächliche und konkrete Einflussnahme bei der Zielgesellschaft gerichtet gewesen seien. Diese Voraussetzung habe nach den getroffenen Feststellungen hinsichtlich des jeweils ersten Teils der Transaktion, des Erwerbs einer Minderheitsbeteiligung, nicht vorgelegen.
Weitere Feststellungen nötig - Keine Vorlage an den EuGH
Ob eine Zurechnung unter diesem Gesichtspunkt auch in einer Gesamtschau der vorgelegten Verträge zu verneinen sei, könne aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union sei nicht erforderlich, weil im jetzigen Verfahrensstadium nicht abzusehen sei, dass es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf eine Antwort des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts ankommen werde. Eine Zurechnung von Stimmrechten komme weiter unter dem Gesichtspunkt in Betracht, dass die Deutsche Post AG die Aktien der Postbank nach den Vereinbarungen bereits für Rechnung der Beklagten gehalten habe (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpÜG). Das Berufungsgericht habe hierzu rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Voraussetzungen einer Zurechnung nicht vorlägen, weil die Dividendenchance aus den betreffenden Aktien bei der Deutschen Post AG verblieben sei. Die gebotene Gesamtbetrachtung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten spreche unter Berücksichtigung der getroffenen Feststellungen nicht gegen, sondern für den Übergang der Dividendenchance auf die Beklagte. Die Entscheidung des Berufungsgerichts im Verfahren II ZR 14/21 erweise sich auch nicht teilweise im Ergebnis als richtig, weil die Ansprüche verjährt seien.
Weitere Klagen anhängig
Für das Frankfurter Geldhaus steht viel auf dem Spiel. Laut Geschäftsbericht ist in dem Komplex "eine wesentliche Anzahl an weiteren Klagen" beim Kölner Landgericht anhängig. Insgesamt geht es demnach um Nachforderungen in Höhe von fast 700 Millionen Euro. Rechtsanwalt Oliver Krauß, der zahlreiche Kläger vertritt, geht davon aus, dass sich die Gesamtsumme inklusive Zinsen inzwischen auf ungefähr eine Milliarde Euro belaufen dürfte. Er äußerte sich "sehr zuversichtlich" für die nächste Runde. Die Kläger seien auch schon immer zu einem Vergleich bereit gewesen, aber von der Deutschen Bank sei "noch überhaupt keine Regung in diese Richtung gekommen". Ein Sprecher der Deutschen Bank teilte mit: "Es bleibt bei unserer Rechtsauffassung, dass die Klagen unbegründet sind." Vor dem OLG werde man diese Auffassung weiter vertreten. Der BGH hatte in dem Streit 2014 schon einmal ein Urteil verkündet und die Sache zur genaueren Prüfung nach Köln zurückverwiesen. Daraufhin war am OLG noch einmal umfangreich verhandelt worden, die Richter vernahmen neue Zeugen und ließen sich Verträge vorlegen. Am Ende waren beide Klagen im Dezember 2020 abgewiesen worden.