Strafbarkeit des AGG-Hoppings

Der Bundesgerichtshof beschäftigte sich mit dem sogenannten AGG-Hopping, also mit Scheinbewerbungen auf Stellenangebote, die allein darauf abzielen, Entschädigungen wegen Diskriminierung nach dem AGG zu beanspruchen. Dem 1. Strafsenat reichte die Begründung der Täuschungshandlung nicht aus: Wer eine solche Entschädigung geltend mache, ohne ausdrücklich auf die Motivation der Bewerbung einzugehen, täusche nicht – auch nicht konkludent – über die Ernsthaftigkeit der Bewerbung.

Mit "AGG-Hopping" eine Einnahmequelle erschlossen?

Ein Mann in den Vierzigern bewarb sich 2011 und 2012 in zwölf Fällen auf ausgeschriebene Stellenangebote, obwohl sein Profil nicht gut auf die Stellen passte – es handelte sich beispielsweise um Stellen für Berufseinsteiger. Nach der Ablehnung beauftragte er seinen Bruder, einen Rechtsanwalt, mit der Geltendmachung einer Entschädigung wegen Altersdiskriminierung nach dem AGG. In allen zwölf Fällen blieb das außergerichtliche Schreiben ohne Erfolg, erst vor Gericht erreichte der Anwalt in zehn Fällen einen Vergleich. Das Landgericht München I verurteilte den Rechtsanwalt wegen versuchten oder vollendeten Betrugs in allen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechzehn Monaten, die es zur Bewährung aussetzte. Die Richter gingen davon aus, dass der Bruder lediglich Scheinbewerbungen versendet hatte, um eine Ablehnung zu provozieren und einen Entschädigungsanspruch nach dem AGG auszulösen, den der Anwalt dann im Einklang mit ihm geltend gemacht habe. Dagegen wandte sich der Jurist mit Erfolg an den Bundesgerichtshof.

Aufforderungsschreiben belegt keine Täuschung

Der BGH hob die Schuldsprüche in allen zwölf Fällen auf, weil das Landgericht fehlerhaft angenommen habe, schon in der außergerichtlichen Geltendmachung liege die Täuschung ihrer Adressaten über die Ernsthaftigkeit der Bewerbung. Der 1. Strafsenat lehnte das ab, denn der Anwalt war in dem Schreiben gar nicht auf die Motivation der Bewerbung eingegangen und hatte damit keine falsche Tatsachenbehauptung aufgestellt. Auch eine konkludente Täuschung vermochte der BGH in dem Forderungsschreiben nicht zu erblicken, denn nicht jeder Arbeitgeber interpretiere in das Schreiben die Behauptung hinein, dass die vorherige Bewerbung ernsthaft gewesen sei. Auch das Bundesarbeitsgericht treffe diesbezüglich keine generelle Aussage zum objektiven Empfängerhorizont, sondern beurteile die Erwartung eines jeden Adressaten gesondert. Eine allgemeine Erwartung, der andere werde sich redlich verhalten, kenne der Rechtsverkehr nicht.

Führen arbeitsgerichtlicher Verfahren per se auch keine Täuschung

Im Hinblick auf die arbeitsgerichtlichen Verfahren, so der BGH weiter, sei im Einzelnen festzustellen, ob der Anwalt nach § 138 Abs. 1 ZPO gegen die Wahrheitspflicht verstoßen habe. Habe er explizit die Unwahrheit behauptet oder sich nur prozessual geschickt verhalten? Dazu fehlten im Urteil jegliche Feststellungen, monierten die Karlsruher Richter.

Keine Irrtümer belegt

Der 1. Strafsenat konnte in der Beweiswürdigung des Landgerichts auch nicht feststellen, dass die Münchener Richter einen Irrtum der Adressaten belegt hätten: So erklärte eine Zeugin auf Arbeitgeberseite, sie habe sich keine Gedanken über die Ernsthaftigkeit der Bewerbung gemacht. Ein weiterer Zeuge sagte aus, er habe das Gefühl gehabt, die Bewerbung sei nicht ernsthaft abgegeben worden. Daraus könne man nicht auf einen Irrtum schließen. Die Karlsruher Richter gingen hier von einer fehlerhaften Beweiswürdigung aus.

Vorbereitung oder Versuch eines Betrugs?

Der BGH rügte weiter die fehlerhafte Abgrenzung zwischen der straflosen Vorbereitung einer Straftat und dem Versuch. Das Landgericht sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass der Anwalt bereits mit der Versendung der außergerichtlichen Schreiben die Schwelle zum "Jetzt geht es los!" überschritten und damit den Betrug versucht habe. Das sei aber fraglich, denn immerhin sei keine einzige Entschädigungszahlung aufgrund der außergerichtlichen Forderung ergangen. Warum hätte der Anwalt bei dieser vorherigen Erfahrung eine solche Erwartung hegen sollen? Angesichts der professionellen Marktteilnehmer mit einer Vielzahl von Mitarbeitern hätte das Landgericht diesen Punkt näher begründen müssen. Das Verfahren wurde zurückverwiesen.

BGH, Beschluss vom 04.05.2022 - 1 StR 138/21

Redaktion beck-aktuell, 12. September 2022.