BGH soll klären: Vorlage eines gefälschten Impfpasses in Apotheke nach alter Rechtslage strafbar?
gelber_impfausweis_digitales_zertifikat_CR_Ralf Geithe_adobe
© Ralf Geithe / stock.adobe.com
gelber_impfausweis_digitales_zertifikat_CR_Ralf Geithe_adobe

Der Bundesgerichtshof soll klären, ob das Vorzeigen eines gefälschten Impfpasses in einer Apotheke zur Erlangung eines digitalen Covid-19-Impfzertifikats bereits vor einer Änderung des StGB zum 24.11.2021 strafbar gewesen ist. Hierum bittet das Oberlandesgericht Karlsruhe. Zu dieser Rechtsfrage gebe es derzeit unterschiedliche Entscheidungen verschiedener Oberlandesgerichte.

Erste Instanz nahm Urkundenfälschung an

Beim 2. Strafsenat des OLG Karlsruhe ist ein Revisionsverfahren anhängig, in dem einem 32 Jahre alten Mann vorgeworfen wird, am 03.11.2021 in einer Apotheke einen gefälschten Impfpass vorgelegt zu haben. Dadurch wollte er eine doppelte Schutzimpfung gegen COVID-19 vortäuschen, um ein digitales Impfzertifikat zu erhalten. Mit diesem Vorhaben scheiterte er allerdings, weil einer Mitarbeiterin der Apotheke die Fälschung erkannte. Das Amtsgericht Lörrach verurteilte den Angeklagten am 08.02.2022 wegen Urkundenfälschung (§ 267 StGB) zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 150 Euro, insgesamt also zur Zahlung von 6.000 Euro. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt.

OLG: Sperrwirkung des § 279 StGB a. F.?

Nach Ansicht des OLG Karlsruhe erfüllt das Verhalten des Angeklagten den Tatbestand der Urkundenfälschung, der – unter anderem – das Gebrauchen einer unechten Urkunde zur Täuschung im Rechtsverkehr unter Strafe stellt. Für die Entscheidung, ob die Verurteilung des Angeklagten durch das AG Lörrach bestätigt werden könne, sei jedoch die rechtliche Frage von maßgeblicher Bedeutung, ob der Annahme einer strafbaren Urkundenfälschung im Fall der Vorlage eines gefälschten Impfpasses in einer Apotheke bei vor dem 24.11.2021 begangenen Taten eine "Sperrwirkung" des Straftatbestands über den Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 279 StGB) entgegensteht. Gemäß dieser Vorschrift sei der Gebrauch eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses bis zum 23.11.2021 nur gegenüber einer Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft strafbar gewesen. Diese Einschränkung habe der Gesetzgeber erst mit Wirkung zum 24.11.2021 aufgehoben.

Stimmen gegen Strafbarkeit als Urkundenfälschung

Das Bayerische Oberste Landesgericht habe hierzu die Ansicht vertreten, dass § 279 StGB in seiner bis zum 23.11.2021 geltenden Fassung eine umfassende Privilegierung im Fall des Umgangs mit gefälschten beziehungsweisen unrichtigen Gesundheitszeugnissen darstelle (BeckRS 2022, 13743). Die Vorlage eines nachgemachten Impfpasses in einer Apotheke, die nicht gemäß § 279 StGB strafbar gewesen sei, könne daher auch nicht als Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB geahndet werden. Diese Auffassung hätten laut OLG Karlsruhe außerhalb von Revisionsverfahren bereits das Oberlandesgericht Bamberg sowie mehrere Landgerichte vertreten.

OLG Karlsruhe verneint Sperrwirkung

Demgegenüber ist der 2. Strafsenat des OLG Karlsruhe der Auffassung, dass dem Straftatbestand des § 279 StGB bereits in seiner alten Fassung keine Sperrwirkung gegenüber dem allgemeinen Delikt der Urkundenfälschung zugekommen sei. Der Senat stützt sich auf den Gesetzeswortlaut, den Zweck der Strafnorm und die Systematik des Gesetzes sowie den Willen des historischen Gesetzgebers und die Gesetzgebungsgeschichte. Er schließe sich damit einem Revisionsurteil des Oberlandesgerichts Celle (NJW 2022, 2054) sowie Entscheidungen der Oberlandesgerichte Hamburg, Stuttgart und Schleswig sowie mehrerer Landgerichte, die außerhalb von Revisionsverfahren ergangen seien, an.

BGH-Vorlage zu Sicherung einheitlicher Rechtsprechung

Einer sofortigen Entscheidung über die Revision des Angeklagten stehe jedoch entgegen, dass zu der maßgeblichen Rechtsfrage eine abweichende Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts, nämlich des Bayerischen Obersten Landesgerichts, in einem Revisionsverfahren vorliegt, so das OLG Karlsruhe. In einem solchen Fall sehe § 121 Abs. 2 GVG vor, dass die Sache zunächst dem BGH vorzulegen ist, damit die maßgebliche Rechtsfrage geklärt werden kann. Hierdurch solle die Einheitlichkeit der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte im Bundesgebiet in ihrer Funktion als Revisionsgerichte in denjenigen Strafsachen, die im Instanzenzug bei einem Amtsgericht beginnen, gesichert werden.

BGH soll über Sperrwirkung entscheiden

Der Senat habe dem BGH daher die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die §§ 277 bis 279 StGB in der bis zum 23.11.2021 geltenden Fassung eine Sperrwirkung (privilegierende Spezialität) entfalten, die bei Vorlage eines Impfausweises mit gefälschten Eintragungen über den Erhalt von Covid-19-Schutzimpfungen in einer Apotheke zur Erlangung eines digitalen Covid-19-Impfzertifikats einen Rückgriff auf § 267 Abs. 1 StGB ausschließt und einer Verurteilung nach dieser Vorschrift entgegensteht.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.07.2022 - 2 Rv 21 Ss 262/22

Redaktion beck-aktuell, 28. Juli 2022.