Schmerzensgeld als Genugtuung bei Arzthaftung
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Der Aspekt der Genugtuung kann für die Höhe des Schmerzensgelds auch in einer Arzthaftungssache eine Rolle spielen. Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass grob fahrlässiges Verhalten eines Arztes die Entschädigungssumme erhöhen kann. Ein grober Behandlungsfehler bedeute allerdings noch nicht, dass auch grobe Fahrlässigkeit vorliegen müsse.

Verzögerte Herzkatheteruntersuchung

Die Ehefrau eines verstorbenen Patienten hatte aus übergegangenem Recht Schmerzensgeldansprüche in Höhe von 30.000 Euro eingeklagt: Der 71-Jährige hatte Essen eingeatmet und war ins Krankenhaus eingeliefert worden. Auf einer um 15:07 Uhr angefertigten Röntgenaufnahme gab es Anzeichen für Herzprobleme. Ein EKG um 15:33 Uhr lieferte deutliche Hinweise auf einen Herzinfarkt, was von den Ergebnissen einer Blutuntersuchung um 15:37 Uhr bestätigt wurde. Dennoch wurde der Mann auf die Normalstation verlegt, wo es um 16:30 Uhr zum Herzstillstand kam. Erst nach der Reanimation erfolgte um 18:13 Uhr eine Herzkatheteruntersuchung und es wurden zwei Stente (Implantate zur Weitung der Blutgefäße) gesetzt. Am nächsten Morgen verstarb der Patient nach einem erneuten Herzstillstand. Das Landgericht Duisburg wies die Klage ab. Das OLG Düsseldorf sprach der Witwe nur 2.000 Euro zu: Die verspätete Katheteruntersuchung könne ein grober Behandlungsfehler sein, aber das Verschulden des Arztes sei für die Bemessung des Schmerzensgelds regelmäßig ohne Bedeutung, und der Patient sei schon am nächsten Morgen verstorben. Die Revision beim BGH war vorerst erfolgreich.

Schmerzensgeld aus allen Aspekten

Der VI. Zivilsenat beanstandete die Berechnung der Entschädigung durch das OLG: In Arzthaftungssachen die Genugtuungsfunktion ganz auszublenden und nur die erlittenen Schmerzen auszugleichen, sei fehlerhaft. Auch wenn normalerweise der Arzt dem Patienten helfen wolle, könne auch das Maß seines Fehlverhaltens bei besonders schwerem Verschulden das Schmerzensgeld beeinflussen. Aus Sicht der Karlsruher Richter macht es einen Unterschied, ob ein geringfügiger Fehler vorliegt oder ein "grobes - möglicherweise die Grenze zum bedingten Vorsatz berührendes – Verschulden". Dies könne "dem Schadensfall sein besonderes Gepräge geben". Das Oberlandesgericht habe einen groben Befunderhebungsfehler zumindest angedeutet, sich allerdings – aus seiner Sicht konsequenterweise – nicht mit der Frage der subjektiven Vorwerfbarkeit beschäftigt. Die Bundesrichter warnten jedoch, dass ein grober Behandlungsfehler weder identisch mit grober Fahrlässigkeit sei, noch ein Indiz für ihr Vorliegen darstelle.

BGH, Urteil vom 08.02.2022 - VI ZR 409/19

Redaktion beck-aktuell; Michael Dollmann, Mitglied der NJW-Redaktion, 28. März 2022.