Schienenkartell: Kein Anscheinsbeweis für überhöhte Preise
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Wer sich an einer verbotenen Kartellabsprache beteiligt, haftet gesamtschuldnerisch für alle dadurch verursachten Schäden. Dies gilt auch für überhöhte Preise, die Kunden in Rechnung gestellt werden. Einen Anscheinsbeweis für den Schadenseintritt gibt es aber nicht. Das hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 19.05.2020 entschieden.

Keine Schienenfreunde

Das Bundeskartellamt hatte 2013 gegen mehrere Gleisbauunternehmen, die sogenannten Schienenfreunde, Bußgelder in Millionenhöhe verhängt. Nach den Feststellungen der Behörde hatten sie ein Kartell gebildet und von 2001 bis 2011 unzulässige Absprachen beim Verkauf von Schienen und anderen Oberbaumaterialien getroffen. Ein kommunaler Verkehrsbetrieb der Stadt Darmstadt verlangte Schadenersatz: Er habe aufgrund des Kartells deutlich überhöhte Preise zahlen müssen. Die "Schienenfreunde" machten geltend, dass der Betrieb die Kosten an die nächste "Marktstufe" weitergegeben habe ("Passing-on-Defence" – Schadensabwälzungseinwand). Außerdem seien die Ansprüche verjährt. Das Landgericht Frankfurt a. M. erklärte den Schadenersatzanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt. Die Berufung der Unternehmen war vor dem Oberlandesgericht Frankfurt a. M. erfolglos: Dem Verkehrsverbund stünden kartellrechtliche Schadenersatzansprüche dem Grunde nach zu. Den Anscheinsbeweis dafür, dass er höhere Preise gezahlt habe, hätte das Schienenkartell nicht erschüttern können. Die von den Firmen behauptete Abwälzung des kartellbedingten Schadens lasse die Entstehung eines Schadens, auf die es bei einem Grundurteil allein ankomme, unberührt und sei erst im Betragsverfahren geltend zu machen.

BGH: Verhaltenskoordinierung der Kartellbeteiligten

Der BGH hob die Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. auf und verwies die Sache zurück. Das OLG habe zwar korrekt angenommen, dass das Schienenkartell auch für überhöhte Preise einzustehen habe. Dies betreffe auch alle Mitglieder, unabhängig von ihrer Beteiligung an einzelnen Verträgen. Die Frage, ob die Preise überhöht waren, lasse sich aber nicht auf der Basis eines Anscheinsbeweises klären, so die Karlsruher Richter. Für die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises fehle es an der dafür erforderlichen Typizität des Geschehensablaufs bei einem "Quoten- und Kundenschutzkartell". Dies entspreche der – nach der Frankfurter Entscheidung ergangenen – Rechtsprechung des Senats (Schienenkartell, NJW 2019, 661). Insofern werde das OLG erneut die Annahme eines Schadens zu prüfen haben.    

BGH, Urteil vom 19.05.2020 - KZR 70/17

Redaktion beck-aktuell, 16. September 2020.