Aufhebung und Neuauflage eines Vergabeverfahrens
Eine Gemeinde wollte im Frühjahr 2016 eine Flüchtlingsunterkunft errichten. Sie schrieb das Bauvorhaben aus, und die Klägerin reichte das preiswerteste Angebot ein. Als dann aber die sogenannte Balkanroute geschlossen wurde, war die Gemeinde unsicher, ob der Bedarf für das Mehrfamilienhaus überhaupt noch bestehen bleiben würde. Nachdem sie die Baufirma vergeblich gebeten hatte, die Bindefrist des Angebots um mehrere Monate zu verlängern, hob sie das Vergabeverfahren einfach auf. Im Herbst stellte sich heraus, dass der Bedarf noch bestand, und die Gemeinde schrieb das Vorhaben erneut aus. Dieses Mal gab es ein Angebot einer Mitbewerberin, das günstiger war und den Zuschlag erhielt. Die benachteiligte Baufirma verlangte Schadenersatz in Höhe von rund 56.000 Euro. Das Landgericht Baden-Baden verurteilte die Auftraggeberin zum Ersatz der Kosten von 150 Euro für die Unterlagen, das Oberlandesgericht Karlsruhe sprach der Unternehmerin zusätzlich Schadenersatz für die Angebotserstellung und einen entgangenen Gewinn in Höhe von insgesamt rund 50.000 Euro zu. Die Gemeinde wehrte sich gegen dieses Urteil vor dem BGH – mit Erfolg hinsichtlich des entgangenen Gewinns.
Vergabeverfahren zu Unrecht aufgehoben
Der BGH entschied: Die Aufhebung des Vergabeverfahrens war rechtswidrig und begründete einen Schadenersatzanspruch aus vorvertraglichem Schuldverhältnis nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB, weil die Gemeinde keinen Aufhebungsgrund nach § 17 VOB/A geltend machen konnte. Für eine Aufhebung bedürfe es eines schwerwiegenden Grundes, der so gewichtig sei, dass eine Bindung des Auftraggebers an die Bedingungen der Ausschreibung mit Recht und Gesetz unvereinbar wäre und dass von den Bietern erwartet werden könne, dass sie auf diese Bindungen Rücksicht nehmen würden.
Ersatz des positiven Interesses nur im Ausnahmefall
Laut dem XIII. Zivilsenat ist dem Bieter nur dann der entgangene Gewinn zu ersetzen, wenn der später vergebene Auftrag das gleiche Vorhaben betrifft und das Vergabeverfahren nur aufgehoben worden ist, um den Auftrag an einen anderen Bieter vergeben zu können. An der letzten Voraussetzung fehlt es dem BGH zufolge hier: Die Gemeinde habe das Vergabeverfahren nicht aufgehoben, um gerade eine andere Bieterin zu bevorzugen; vielmehr seien ihr Zweifel an der Bedarfssituation gekommen, weshalb sie um die Verlängerung der Angebotsfrist gebeten habe. Und im zweiten Verfahren habe – rechtmäßig -– diejenige Bieterin mit dem preisgünstigsten Angebot den Zuschlag erhalten.
Ersatz des negativen Interesses
Den Ersatz der mit der Teilnahme am Verfahren verbundenen Aufwendungen habe das OLG daher zu Recht ausgesprochen, so der BGH. Denn der Bieter sei so zu stellen, als hätte der öffentliche Auftraggeber alle vergaberechtlichen Vorschriften beachtet. Die Gemeinde ist den Richtern zufolge nicht zur Auftragsvergabe verpflichtet gewesen, weil diese nicht dem Bieterinteresse, sondern allein der Befriedigung des öffentlichen Beschaffungsbedarfs diene. Geschützt werde nur das Recht auf Teilnahme am Wettbewerb unter fairen, transparenten Bedingungen und damit auf Wahrung der Chance auf den begehrten Zuschlag.