Feststellungen zum Rücktrittshorizont des Täters unverzichtbar

Kommt ein freiwilliger Rücktritt vom Versuch in Betracht, muss das Gericht aufklären, wie der Täter nach seiner letzten Handlung die Lage sieht. Diese Feststellungen zum sogenannten Rücktrittshorizont sind nach Ansicht des Bundesgerichtshofs unverzichtbar. Dies gelte auch dann, wenn objektiv die Erfolgsaussicht weiterer Angriffe zweifelhaft sei.

Motiv unbekannt

Das Landgericht Mühlhausen hatte einen Mann wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Aufklärung der Hintergründe der Tat gestalteten sich aber schwierig: Die Strafkammer konnte keine Gründe dafür feststellen, warum der Angeklagte plötzlich sein Messer gezogen und einem Bekannten eine blutende Schnittwunde am Hals zugefügt hatte. Zuvor hatten die beiden in "gelöster Stimmung" mit zwei anderen Personen vor einem Supermarkt getrunken, wobei zumindest der Täter erheblich alkoholisiert gewesen war. Als einer der Zeugen nach dem Schnitt einen Notruf absetzen wollte, riss er ihm das Telefon aus der Hand, wobei er etwas wie "Hier ruft keiner den Krankenwagen!" äußerte. Nach einem kurzen Kampf hatten die Helfer das Telefon zurück und verständigten die Ambulanz. In dieser Situation verließ der Angreifer den Tatort. Das LG traf das LG keine Feststellungen dazu, wie er die Lage einschätzte. Allein aufgrund des Nachtatverhaltens und des zu erwartenden Widerstands der Zeugen komme ein freiwilliger Rücktritt nicht in Betracht, so das LG. Der BGH verwies die Sache an eine andere Strafkammer zurück.

Rücktrittshorizont klärungsbedürftig

Dem 2. Strafsenat reichten die Ausführungen zu den Vorstellungen des Täters nicht aus. Die Annahme des bedingten Tötungsvorsatzes - welcher gegeben sei - sei nicht zu beanstanden. Ein durchgreifender Mangel liege allerdings darin begründet, dass keine Feststellungen zum Rücktrittshorizont getroffen worden seien. Dabei handele es sich um das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung. Danach bestimme sich allein schon die Unterscheidung eines beendeten Versuchs von einem unbeendeten, wie das Gericht betonte. Insgesamt könne das Vorliegen eines freiwilligen Rücktritts ohne diese Angaben vom Revisionsgericht nicht überprüft werden.

BGH, Beschluss vom 01.02.2022 - 2 StR 306/21

Michael Dollmann, Mitglied der NJW-Redaktion, 14. Juli 2022.