Notruf aus Angst vor Strafe: Kein freiwilliger Rücktritt
Lorem Ipsum
© sky_diez / stock.adobe.com

Zum beliebten Examensthema "Rücktritt vom Versuch" gibt es eine neue Entscheidung des BGH. Der 6. Strafsenat ruft in Erinnerung, dass sich der Täter bei einem beendeten Versuch bewusst und gewollt für eine Rettung seines Opfers entscheiden muss.

Neben der Frage, ob der Versuch bereits fehlgeschlagen war, ist – ob im Examen oder in der Praxis – die Freiwilligkeit einer der Dreh- und Angelpunkte beim Rücktritt. Insofern könnte es auch ein Wiedersehen mit dieser am Dienstag veröffentlichten Entscheidung in der Ausbildung geben – allerdings womöglich mit einem etwas veränderten Sachverhalt.

Grundlage des Urteils des LG Würzburg, mit dem der 6. Strafsenat sich beschäftigten musste, war nämlich ein grauenhafter Fall: Ein 28-jähriger – nach den Feststellungen intelligenzgeminderter – Handwerker hatte an seinem Geburtstag beschlossen, eine Frau, deren Fenster er austauschen sollte, in ihrer Wohnung zu erschlagen und dann ihre Leiche zu missbrauchen.

Nach mehreren Hammerschlägen auf ihren Kopf ging er davon aus, dass die Frau ohne sofortige Hilfe sterben würde, sah sich aber außerstande, seine Phantasie in die Tat umzusetzen. Da ihm – nach Ansicht der Strafkammer erst jetzt – die ihm drohenden Konsequenzen bewusst wurden, verließ er fluchtartig die Wohnung. In einem "Schockzustand" kam er auf die Idee, die Tat einem unbekannten Einbrecher in die Schuhe zu schieben. Er alarmierte "aus panischer Angst um seine Zukunft" Passantinnen, bat diese, den Notruf zu wählen und wies die Rettungskräfte ein. Die Frau überlebte schließlich schwer verletzt.

Die Würzburger Richterinnen und Richter verurteilten ihn unter anderem wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und ordneten die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik an. Einen Rücktritt lehnten sie mangels Freiwilligkeit ab – eine Einschätzung, die jetzt auch der BGH teilt.

Der 6. Strafsenat (Urteil vom 10.01.2024 - 6 StR 324/23) zieht eine Parallele zwischen der Situation beim unbeendeten und beendeten Versuch: Im ersten Fall – der Täter müsste weitere Handlungen verüben, um den "Erfolg" zu erzielen – werde die Ausführung nicht freiwillig beendet, wenn er lediglich aus Angst, Schock oder einer "vergleichbaren seelischen Erschütterung" nicht mehr weitermachen könne.

Beim beendeten Versuch – das Opfer wird ohne Hilfe Dritter sterben – müsse man grundsätzlich identische rechtliche Maßstäbe anlegen. Daher fordern die Karlsruher Richterinnen und Richter unter Verweis auf eine BGH-Entscheidung von 1967, dass auch die Rettungsmaßnahmen aufgrund einer bewussten Entscheidung eingeleitet werden müssen. Der Angreifer müsse "Herr seiner Sinne" sein und aufgrund einer "willensgesteuerten Entscheidung" verhindern, dass die Tat vollendet wird. Daran fehle es, wenn im "Ausnahmefall… gerade die seelische Erschütterung des Täters ein zwingender Grund für die Verhinderung des Erfolgseintritts war", wie das Gericht weiter ausführte. Hier habe sich der Mann lediglich erzwungenermaßen aufgrund seiner überwältigenden Zukunftsangst an die Passantinnen gewandt, ohne dass er zu einer bewussten Entscheidung in der Lage gewesen wäre. Ein freiwilliger Rücktritt vom Versuch sei das nicht. 

BGH, Urteil vom 10.01.2024 - 6 StR 324/23

Redaktion beck-aktuell, Michael Dollmann, 26. März 2024.