Richterliche Informationspflichten nach einem Deal
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Treffen die Beteiligten in einem Strafverfahren außerhalb der Hauptverhandlung eine Absprache über die Rechtsfolgen, muss der Richter die Angeklagten und die Öffentlichkeit anschließend über den wesentlichen Inhalt informieren. Dazu gehören auch die Standpunkte, die die Betreffenden in dem Gespräch eingenommen haben. Das hat der Bundesgerichtshof am 06.10.2020 entschieden.

Absprache in einem Fall räuberischer Erpressung

Ein Heranwachsender stand mit weiteren Angeklagten wegen einer schweren räuberischen Erpressung vor dem Landgericht Marburg. In der Hauptverhandlung regte das Gericht an, ein "Verständigungsgespräch" nach § 257c StPO zu führen: Die Robenträger sprachen außerhalb der öffentlichen Sitzung - ohne Öffentlichkeit und Angeklagte - über den Fall und versuchten, sich über Fort- und Ausgang des Prozesses zu einigen. Erstrebt wird dabei, ohne eine aufwendige Beweisaufnahme zu einem annehmbaren Strafmaß für den Angeklagten zu kommen. Nach knapp einer Stunde wurde die Hauptverhandlung fortgesetzt, und der Vorsitzende gab bekannt, dass man über die Ziele der Verteidigung gesprochen habe. Die Staatsanwaltschaft habe sich dabei nicht abschließend äußern wollen. Nach einem Teilgeständnis wurde der Täter zu zwei Jahren und vier Monaten Jugendstrafe verurteilt. Dagegen legte er Revision zum Bundesgerichtshof ein - mit Erfolg.

Informationspflichten nach § 243 Abs. 4 StPO

Nach § 243 Abs. 4 StPO hat der Vorsitzende im Anschluss an die Gespräche den wesentlichen Inhalt der Verständigung mitzuteilen. Dem 2. Strafsenat zufolge gehört dazu auch die Darlegung, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde, welche Standpunkte vertreten wurden und auf welche Resonanz dies bei den anderen Gesprächsbeteiligten gestoßen ist. Wenn dem Angeklagten diese Informationen fehlten, sei das Verfahren nicht ausreichend transparent und könne nicht durch die Öffentlichkeit kontrolliert werden. Der Senat könne nicht ausschließen, dass sich der junge Mann bei einer ordnungsgemäßen Information zu einem anderen Verteidigungsverhalten als dem Teilgeständnis entschlossen hätte. Dann hätten gegebenenfalls günstigere Feststellungen getroffen und eine geringere Strafe verhängt werden können. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Landgerichts auf und verwies die Strafsache zur erneuten Verhandlung zurück.

Studie zur Verständigung im Strafverfahren erstellt

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2013 zwar festgestellt, dass die gesetzlichen Regelungen zur Verständigung im Strafverfahren die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben in ausreichender Weise sichern. Zugleich gab es dem Gesetzgeber aber auf, die Wirksamkeit der vorgesehenen Schutzmechanismen fortwährend zu überprüfen. Das Bundesjustizministerium hatte deshalb eine Studie in Auftrag gegeben, deren Abschlussbericht nunmehr vorliegt: Demnach kommt es nach wie vor zu vielen Absprachen, die die gesetzlichen Vorgaben nicht erfüllen. Insbesondere an den Amtsgerichten werden die Transparenz- und Dokumentationspflichten nicht erfüllt, so die Studie. Problematisch sei insbesondere, dass unerlaubt der Verzicht auf Rechtsmittel weiterhin Gegenstand von Absprachen sei. Außerdem würden weiterhin Punktstrafen vereinbart, also die genaue Strafhöhe, oder zumindest Strafrahmen, bei denen alle Beteiligten sich über das Ergebnis einig sind.

BGH, Beschluss vom 06.10.2020 - 2 StR 262/20

Redaktion beck-aktuell, 16. November 2020.